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Dienstag, 17. April 2018

Klassiker-Rezension: Der Bergmann (Natsume Sōseki)

 







Japan 1908

Der Bergmann
Originaltitel: Kōfu
Autor: Natsume Sōseki
Verlag: DuMont, be.bra (Hardcover ohne Vorwort)
Vorwort: Haruki Murakami
Übersetzung: Franz Hintereder-Emde, Ursula Gräfe (Vorwort)
Genre: Gesellschaftsdrama


"Der Bergmann" von Natsume Sōseki ist bereits als gebundene Ausgabe im Jahr 2016 beim be.bra Verlag erschienen. Schon damals fasste ich den Roman in mein Blickfeld, leider aber war die Ausgabe für einige Zeit nicht erhältlich und ist anschließend von meinem Radar verschwunden. Vor etwas über 4 Wochen ist die Neuausgabe beim DuMont Buchverlag als handliches Taschenbuch mit neuem Cover erschienen. Die Neuausgabe basiert hier auf der bereits bekannten Übersetzung von Franz Hintereder-Emde, jedoch gibt es exklusiv bei der Ausgabe von DuMont ein nettes Extra. Nämlich das ausführliche Vorwort von Haruki Murakami. Übersetzt wurde dieses von Murakamis deutscher Übersetzerin Ursula Gräfe und Stammleser werden sich hier sofort heimisch fühlen. Murakamis Bezug zur japanischen Literatur ist nicht die größte Liebschaft. Das Werk Natsume Sōseki hingegen schätzt der Autor enorm, ein Fakt, der schon lange öffentlich bekannt ist. Für "Der Bergmann" hatte er Ende 2014 ein ausführliches Vorwort geschrieben. Murakami selbst zählt den Bergmann zu einem literarischen Highlight, geht aber auch offen kritisch auf das Spätwerk von Natsume Sōseki ein. Der japanische Autor geht hier noch sehr ins Detail und liefert viele interessante Einblicke in die Geschichte, sowie aber auch in die Entstehungsgeschichte des Romans. Murakami geht allerdings auch auf das Ende der Geschichte ein, vielleicht wäre es daher nicht verkehrt, sich dieses Vorwort als Nachwort aufzubewahren (funktioniert auch so herum).

Wie schon in meiner Einführung dieser Besprechung erwähnt, "Der Bergmann" ist ein Spätwerk des Autors, veröffentlicht rund 8 Jahre vor seinem recht frühen Tod mit 49 Jahren. Im Vorwort geht Murakami darauf ein, dass der Roman ziemlich experimentell ist und keinem festen Plot folgt. Zur Zeit der Veröffentlichung war Natsume Sōseki bereits Vertragsautor und dem Verlag ein weiteres Werk schuldig. Ein junger, ehemaliger Minenarbeiter der Kupfermine von Ashio bot der Asahi Shimbun an, seine Story zu verkaufen. Was dann folgte ist heute nicht mehr wirklich zurückzuverfolgen. Der Minenarbeiter erzählte Sōseki die Geschichte und dieser verwendete sie für seinen eigenen Roman. Wie viel letztendlich von der Geschichte des jungen Mannes in Sōsekis Roman eingeflossen ist, dies bleibt Spekulation aber man kann davon ausgehen, dass es nicht mehr als die Umrisse sind. "Der Bergmann" stieß in Japan zur Veröffentlichung auf heftige Kritik, ein Grund dafür ist unter anderem der nicht gerade nahbare und sympathische Ich-Erzähler. Doch genau in diesem Punkt muss ich persönlich widersprechen. Der Erzähler ist vermutlich genau so ein Charmebolzen wie J.D. Salingers Holden Caulfield aus "Der Fänger im Roggen". Und dennoch ist es seine rücksichtslose Ehrlichkeit, die ich dem Erzähler hoch anrechne. Zusätzlich sind etliche seiner Schilderungen auch noch mit einem herrlich trockenem Humor versehen, der mich das ein oder andere mal zum schmunzeln brachte.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht hier der von mir angesprochene Ich-Erzähler. Aus gutem Hause kommt er, doch bewegte ihn etwas, aus seinem behütetem Heim in Tokyo fortzulaufen und sich auf ein unbestimmtes Ziel aufzumachen. Die Beweggründe für den Ausriss erfährt man später in der Geschichte (das weibliche Geschlecht ist hieran nicht unbeteiligt). Mit nichts weiter am Leib als einem Kimono und ärmlichen 32 Sen in seiner Geldbörse, marschiert der Erzähler planlos durch die Weltgeschichte. In Gedanken versunken weiß er nichts mehr so recht mit seinem Leben anzufangen und denkt selbst über den Freitod nach. Doch nach reichlicher Überlegung, kommt unser Erzähler zum Schluss: "Dafür lohnte es sich nicht zu leben, aber anders herum konnte ich mich auch nicht zum Sterben durchringen."
Das innere Zerwürfnis und die Sehnsucht an einen dunklen, menschenleeren Ort zu flüchten, zerbersten, als der Erzähler einer bizarren Gestalt begegnet. Findet der Erzähler das auftreten dieser seltsamen Person zu Beginn noch als unverschämt und penetrant als dieser ihn musterte, änderte sich diese Sichtweise, als der zwielichtige Mann ihn zu sich ruft. Unser Erzähler weiß zwar nicht so ganz, was er von ihm will, doch die Worte des Fremden spenden Trost und wecken die Lebensgeister in ihm. Der Fremde möchte ihm einen Job anbieten, einen Job in einer Mine. Ohne lange darüber nachzudenken (die Bezahlung ist unserem Erzähler völlig gleichgültig), nimmt er das Jobangebot an.

Unser Erzähler wird also Bergmann und lernt kurz darauf auch die harte Arbeit und das Klientel kennen, welches an dieser harten Arbeit beteiligt ist. "Der Bergmann" ist nicht nur der Abstieg in die tiefsten Tiefen einer Mine, es ist auch der Abstieg in das menschliche Unterbewusstsein. Wir lernen den Erzähler und seine Beweggründe besser kennen, zusätzlich erfahren wir, wieso er Tokyo mit so finsteren Gedanken hinter sich gelassen hat. "Der Bergmann" entfaltet sich hier besonders durch die Sichtweise des Erzählers zu den anderen Bergmännern zu einem Gesellschaftsdrama, was aber in keiner Sekunde melodramatisch oder theatralisch wirkt. Wie schon erwähnt, Sōseki folgt hier keinem festen Plot, aber diese Experimentierfreudigkeit machte für mich den Reiz der Geschichte aus und ließ mich enorm begeistert zurück. Auch das durch und durch offene Ende (welches nicht ganz so fies ist wie in "Kokoro") steht für Sōsekis Experimentierfreudigkeit.

Die Übersetzung von Franz Hintereder-Emde ist bestens bemüht darin, bei den Dialogen den recht eigenwilligen Stil einzufangen. Kompliziertere Begriffe befinden sich als Anhang auf den letzten Seiten des Buches. "Der Bergmann" lässt sich abseits einiger kultureller Begriffe absolut unbeschwert lesen, und erneut merkt man einem Roman von Natsume Sōseki nicht sein Alter an.


"Ich hatte bislang vorgehabt zu sterben. Ich hatte vorgehabt, wenn nicht zu sterben, an einen menschenleeren Ort zu gehen. Da mir das alles nicht gelang, sah ich mich veranlasst, für mein Weiterleben zu arbeiten. Geldmachen oder nicht, diese Frage war mir in dem Augenblick völlig egal. Und nicht nur jetzt, auch als ich noch meinen Eltern in Tokyo auf der Tasche lag, hatte ich nicht die Spur Interesse daran. Nicht nur das, Gewinnstreben als solches war mir zutiefst verhasst gewesen. Ich glaubte sogar, dass egal wo in Japan, ein jeder Mensch genau so dachte."



Resümee

Natsume Sōseki konnte bereits mit "Kokoro" viel Eindruck bei mir hinterlassen. Mit "Der Bergmann" wird dieser Eindruck noch einmal bekräftigt. Der Roman wird vermutlich eher die Zielgruppe "Fans der japanischen Literatur" bedienen und widersetzt sich zudem gängigen Erzählstrukturen. Das Vorwort von Haruki Murakami festigt aber auch noch einmal meine Annahme, dass hier auch Leser Murakamis etwas für sich entdecken könnten. Das Werk Murakamis ist ohne Zweifel geprägt von Sōsekis Erzählkunst. Für mich war es daher auch noch spannend, parallelen zwischen den beiden Autoren zu finden. Doch dazu mehr in einem kommenden Artikel.

"Der Bergmann" war eine außergewöhnliche Reise in das Werk eines herausragenden Autors. Es dauerte viele Jahre, bis der Roman seine verdiente Anerkennung in seinem Heimatland fand. In unseren westlichen Gefilden ist der Bergmann noch ein überraschend junger Roman, der erst in den letzten Jahren wirklich in Erscheinung getreten ist. Eine fantastische Gelegenheit, diesen Klassiker nun kostengünstig nachzuholen.

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