Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Mittwoch, 28. März 2018

Im Gespräch: Aufziehvogel trifft den Commendatore




Das Leben ist unvorhersehbar. In diesem Leben hätte ich zum Beispiel nicht mehr erwartet, einmal interviewt zu werden. Normalerweise bin ich derjenige, der die Fragen stellt und meine Blog-Gäste diejenigen, die sie, so weit es ihnen möglich ist, beantworten. Jetzt ist es schon so weit gekommen, dass ich auf meinem eigenen Blog interviewt werde!

Die Frage, die ich mir seit meinem Gespräch mit dem Commendatore stelle ist die gleiche, die sich Haruki Murakamis namenloser Protagonist bereits im Roman stellt: Kann eine Idee eine physische Gestalt annehmen? Eine ausgesprochen kontroverse Frage. Und doch begegnete ich dem Commendatore kürzlich, nein, viel mehr war er es, der mich aufsuchte. Es geschah, kurz nachdem ich Band 1 von Murakamis Roman ausgelesen hatte und es erwischte mich kalt. Der Commendatore saß auf meinem Sofa und klickte sich durch meinen Verlauf auf YouTube und Twitter. Der kleine Mann sah motiviert aus und begrüßte mich. Verdutzt setzte ich mich auf mein Sofa neben ihn und hörte ihm zu. "Meine Herren", begann er (obwohl nur er und ich anwesend waren) und in ruhigem Tonfall berichtete er mir von seinem Anliegen. Ob ich bereit zu einem kleinen Gespräch wäre. Ein Gespräch über das Werk "Die Ermordung des Commendatore" eines gewissen japanischen Autors. Er schien kein besonders großer Kenner jenes Autors namens Haruki Murakami zu sein. Zufällig schien ihm sein neuster Roman in die Hände gefallen zu sein, in diesem er auch noch eine tragende Rolle spielt. Eine Idee fragt nach. Eine Idee interessiert sich für meine abschließenden Gedanken zum ersten Band dieser mysteriösen Geschichte. Was kann schon schief gehen, dachte ich mir und schluckte dennoch laut, denn es passiert in einem Menschenleben vermutlich nur zu selten, dass er sich einmal mit einer Idee unterhalten wird.


Das Interview


Commendatore: Meine Herren, bitte erzählen Sie mir doch einmal, welche Erwartungen Sie im Vorfeld hatten? Ist es nicht eine Unglaublichkeit? In einigen Wochen endet diese Reise auch schon wieder. Bitte erzählen Sie mir aber, ob Sie im Vorfeld andere Erwartungen hatten oder ob ungefähr das eingetroffen ist, was Sie erwartet haben.

Aufziehvogel: Hierauf kann ich glaube ich keine gescheite Antwort liefern. Über den Inhalt war im Vorfeld, wie immer bei Murakami, kaum etwas bekannt. Von Meinungen aus Japan schwappt auch in der heutigen Zeit nur sehr wenig zu uns herüber und man musste sich beispielsweise auf Berichterstattungen der Japan Times verlassen. Allerdings war diese Berichterstattung auch genau so vage und brachte mich dem tatsächlichen Inhalt des Buches kein bisschen näher. Ich hatte ein Bild vor Augen, dass ein einsamer Eremit, der sich vom Großstadtleben verabschiedet hat und nun sein Leben in einer kleinen Hütte auf einem verschneiten Berg fortführt. Ich denke, dieses Bild hatte ich von der Beschreibung des Romans.


Commendatore: Und was steckt wirklich dahinter?

Aufziehvogel: Die Antwort kennen sie doch schon!

Commendatore: Ich möchte aber Ihre Meinung hören, meine Herren! Erzählen Sie doch bitte.

Aufziehvogel: Also gut. "Die Ermordung des Commendatore" ist ein moderner Roman mit einem Protagonist, einem jungen Künstler, in seinen 30ern. Murakami kehrte hier wieder zu einem namenlosen Ich-Erzähler zurück. Die Geschichte in den beiden Romanen wird aus seiner Sicht erzählt, der Erzähler merkt aber noch an, dass diese seltsame Geschichte, in die er hineingeraten ist, schon mehrere Jahre zurückliegt. Jener Portrait-Maler hat sich von seiner Frau getrennt und ein alter Bekannter aus der Uni gewährt ihm eine Unterkunft, etwas abgeschieden in einem Tal, im Haus seines Vaters, einem bekannten Maler des Nihonga-Stils, vorläufig zu leben. Erzählt wird hier die Geschichte zweier Männer, die aus ziemlich unterschiedlichen Verhältnissen kommen und die auch ein gewisser Altersunterschied voneinander trennt. Dennoch, so die Auffassung des Ich-Erzählers, scheint er sich seelisch mit dem reichen Herrn Menshiki verbunden zu fühlen, der den Protagonist für ein Portrait anheuerte. Es entwickelt sich hier eine ungeheuer interessante Beziehung zwischen den beiden Männern. Der tatsächliche Inhalt des Buches unterscheidet sich also sehr von dem, was ich mir im Vorfeld vorgestellt hatte. Wie ich Ihnen aber schon sagte, es ist unglaublich schwierig, sich etwas unter einem neuen Murakami vorzustellen, wenn man das Buch nicht selbst vorher gelesen hat.


Commendatore: Ich denke, ich verstehe allmählich die Faszination hinter diesem Autor meine Herren. Bitte berichten Sie mir etwas mehr von Ihren Eindrücken mit dieser Geschichte.

Aufziehvogel: In meiner Rezension zu Band 1 habe ich die Rückkehr zu Murakamis Surrealismus schon sehr gelobt. Im Nachklang muss ich auch sagen, es ist eine sehr mysteriöse Geschichte. Murakami hält sich hier zwar im Genre des Künstlerromans auf, aber der Aufbau der Geschichte unterscheidet sich erheblich von seinen letzten beiden großen Romanen. Ich habe hier etwas vertrautes wiederentdeckt, was ich seit Jahren vermisst habe. Der magische Realismus ist etwas, was so ziemlich jedem seiner Romane anhaftet, aber bei "Die Ermordung des Commendatore" (tut mir echt leid für Sie) spielt Murakami wieder mit den Welten. Es kommen klassische Stilmittel aus vergangenen Werken hier wieder zum Vorschein.


Commendatore: Der Autor soll wohl berüchtigt für eigenwillige weibliche Charaktere sein. Können sie mir sagen, ob es in dieser Geschichte die oftmals erwähnte "Murakami-Frau" gibt?

Aufziehvogel: Wenn ich an Band 1 zurückdenke muss ich eher sagen, nein. Murakamis weibliche Figuren haben es durch ihre geheimnisvolle, selbstbewusste art auch immer geschafft, die Leser um den Finger zu wickeln. In Murakamis vergangenem Roman ("Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki") scheiterte Murakami erstmals damit, eine weibliche Figur zu erschaffen, die die Leser um den Finger wickelt. Der Figur fehlte es an Persönlichkeit und wirklich sympathisch fand ich sie auch nicht. In seiner vergangenen Kurzgeschichten-Sammlung "Von Männern, die keine Frauen haben" finden wir aber eine Entschädigung dafür. Besonders in der Geschichte "Samsa in Love" finden wir einen sehr schrulligen Charakter (positiv gemeint), der die Kriterien der Murakami-Frau erfüllt. In "Die Ermordung des Commendatore" lernen wir nur ein paar Affären des Erzählers kennen. Eine dieser Affären hat eine größere Rolle in der Geschichte, trägt aber nicht wirklich was zu ihr bei (bisher zumindest). Zu den ganz wenigen Schwachpunkten im Buch gehören diesmal eindeutig die Liebesszenen. Selbst für Murakami-Verhältnisse (er wird gerne mal pikanter bei der Beschreibung) wirken die Beschreibungen befremdlich vulgär und fügen sich nicht besonders gut in die Geschichte ein. Sobald sich eine Liebesszene wieder anbahnte, seufzte ich und hoffte, der Autor würde sich bitte kurz fassen. Im Verlaufe des ersten Bandes werden diese Szenen weniger und ich weine ihnen auch nicht nach. "Die Ermordung des Commendatore" ist keine Liebesgeschichte und so etwas würde auch nicht dazu passen. Murakami fokussiert sich bis auf wenige Ausnahmen fast ausschließlich auf die beiden Protagonisten, und genau so wünsche ich mir auch, dass es weitergeht. Dennoch gibt es eine wundervolle Liebesszene, die einer Erwähnung wert ist und anscheinend den Erzähler seit langer Zeit begleitet. Es ist die Erzählung mit dem Love Hotel.


Commendatore: Ein Love Hotel? Was soll das sein, meine Herren? Können Sie dies bitte erläutern?

Aufziehvogel: Nun, ich werde nicht näher drauf eingehen was ein Love Hotel ist (sie sind so wissbegierig, die Antwort werden sie sicherlich selbst herausfinden). Da sie den Roman aber schon komplett gelesen haben (und somit auch mehr wissen als ich selbst) werden sie wissen, worüber ich rede. Die Erzählung rund um die mysteriöse Frau und ihrem umheimlichen Verfolger in dem Subaru Forester war der typische Murakami-Moment. Ähnlich wie "Die Stadt der Katzen" in seinem Dreiteiler 1Q84, so ist die Geschichte mit dem Love Hotel eine Kurzgeschichte eingewoben in dem Roman. Man könnte diese Seiten ausschneiden und als eigenständige Geschichte herausbringen. Bei Murakami ist es nicht einmal auszuschließen, dass ihm so die Idee zu "Die Ermordung des Commendatore" kam, da bereits einige seiner Kurzgeschichten der Anstoß zu einem Roman waren. Ich kann Lesern, die das Buch noch nicht kennen, raten, auf diese Erzählung besonders acht zu geben.


Commendatore: Zum Abschluss würde ich Sie gerne fragen, wie es um Ihre Erwartungshaltung dem zweiten und somit letztem Band gegenüber bestellt ist. Sie haben doch Erwartungen, oder?

Aufziehvogel: Ich wünsche mir einen runden Abschluss für diese Geschichte. Es ist genug Potential vorhanden, dass "Die Ermordung des Commendatore" Murakamis bestes Werk (aus meiner Sicht) seit "Kafka am Strand" werden könnte. Haruki Murakami tut sich beim Ende immer etwas schwer. Hier erkennt man, dass Murakami durch und durch ein japanischer Autor ist. Die Enden in der japanischen Literatur sind oftmals von kryptischer Natur und liefern meistens ein völlig offenes Ende ab. Ein offenes Ende kümmert mich nicht, sofern dieses vorher gut ausgearbeitet wurde und auch gerechtfertigt ist. Ich kann also nicht behaupten, meine Erwartungen seien gering. Diese Geschichte verdient ein anständiges Ende, ein anständiges Ende aber bitte mit dem typischen Murakami-Twist. Ich wünsche mir daher, dass sämtliche Handlungsstränge abgearbeitet werden. Ich möchte auch nachträglich über das Ende noch nachdenken, philosophieren und interpretieren können. So muss für mich ein Roman von Haruki Murakami enden.


Commendatore: Zum Schluss noch eine Frage, meine Herren, welche Zielgruppe wird denn hier angesprochen und was können die Leser erwarten?

Aufziehvogel: "Die Ermordung des Commendatore" ist wieder einmal etwas komplett anderes geworden. Murakami bewegt sich auf dem Territorium des Künstlerromans, aber das bedeutet nicht, dass der Roman trocken oder arm an Ereignissen ist. Es ist ein flotter Roman, allerdings sollte man hier keine erdrückende Spannung erwarten oder aber dramatische Wendungen. Der Roman ist vom Tempo her optimal und funktioniert genau so, wie er es soll. Doch besonders im Vergleich zu anderen Werken Murakamis muss man sich hier etwas umorientieren. Sich an dieses spezielle Tempo gewöhnen. Man wird sich hier und da etwas umstellen müssen, aber dennoch kann ich den Roman uneingeschränkt für die Leser dieses Blogs empfehlen.


Commendatore: Ich kanns kaum fassen, Sie haben all meine Fragen abgearbeitet. Eine Idee bedankt sich für Ihre Zeit und wünscht Ihnen noch eine angenehme Zeit. Ich bin mir sicher, wir werden uns noch ein weiteres mal sehen, sobald sie Band 2 ausgelesen haben.



Nach diesen Worten des Abschieds rührte sich der Commendatore neben mir nicht mehr und begann langsam, sich in Luft aufzulösen. Ich bin gespannt, ob er mir tatsächlich noch einmal einen Besuch abstatten wird.

Donnerstag, 22. März 2018

Aufziehvogel's Geschichtsstunde: Als Hellraiser amerikanisch wurde




In einer Retrospektive aus dem Jahr 2015 setzte ich mich schon einmal mit dem Thema auseinander. Jetzt möchte ich auf das Hellraiser Franchise und seiner turbulenten Historie seit der Übernahme der Produktionsfirma Dimension genauer eingehen.

Hellraiser war zu seiner Veröffentlichung im Jahr 1987 eine erfrischend britische Alternative zu den amerikanischen Slasher-Filmen, dem sogenannten Grindhouse-Kino was seinen Zenit allmählich hinter sich hatte. Hinter dem visionärem Horrorfilm dessen Spezialeffekte bis heute teilweise noch unerreicht sind steckt das britische Multitalent Clive Barker. Barker verfilmte hier seine eigene Novelle "The Hellbound Heart" und setzt diese ziemlich detailgetreu um. Zugeben, Barker dürfte den meisten Fans eher als Autor und weniger als Filmregisseur bekannt sein, so war der erste Hellraiser gleichzeitig auch die letzte Regiearbeit Barkers an dem Franchise. Barker zog sich als Filmemacher zurück und fungierte fortan als Produzent, als immer wachsames Auge und war besonders bei der Fortsetzung für die Geschichte zuständig. Clive Barker selbst hielt dem Franchise lange die Treue, so lange, bis es selbst dazu kam, dass er mit dem gesamten Hellraiser-Universum nicht mehr in Verbindung gebracht werden möchte (seine Beteiligung hielt bis Teil 6).

Teil 1 konnte größtenteils als britische Produktion betrachtet werden (für die Finanzierung der ersten beiden Filme war größtenteils die amerikanische Produktionsfirma New World Pictures zuständig, dies hatte aber keinen großen Einfluss auf die Filme). Man setzte komplett auf eine Riege an britischen Schauspielern, einem britischen Team hinter den Kameras und einer Filmlocation in London. Beiden Filmen haftet die britische art der Filmkunst an. Auf flache Oneliner der Bösewichte wurde verzichtet, die Cenobiten wurden so grausam und skrupellos wie möglich dargestellt. Diese sehr ernste Machart des Films sorgte stets für eine angespannte Atmosphäre, den Zuschauern wurden selten Verschnaufpausen gegeben.

Hellraiser II war eine direkte Fortsetzung des Erstlings und erschien überraschenderweise zuerst ende 1988 in den USA anstelle des Heimatlandes Großbritannien. Obwohl das Script und die Story häufiger umgeschrieben wurden, verlief die Produktion größtenteils reibungslos. Zwar war Hellbound: Hellraiser II noch immer ein Horrorfilm, es schlichen sich aber auch mehr und mehr phantastische Elemente ein, die zusätzlich den Fantasy-Charakter des Films unterstrichen. Musste Clive Barker für den Vorgänger noch Schnitte für die MPAA vornehmen um ein R-Rating zu erhalten, so hat sich Barker bei der Fortsetzung bewusst dazu entschieden, von der MPAA ein X-Rating zu erhalten (diese Freigabe wurde später durch das gefürchtete NC-17 ersetzt). Auch noch heute genießt die Fortsetzung unter Fans ein hohes Ansehen.

Kommen wir nun aber zum Kernthema dieser Geschichtsstunde. Mit Hellraiser III: Hell on Earth begann gleichzeitig auch ein schleichender Niedergang des Hellraiser-Franchise. Hellraiser III war nicht nur der erste Ableger in der Reihe, der komplett in den USA mit amerikanischen Schauspielern gedreht wurde, es war auch die Zeit wo Bob Weinstein mit seiner Produktionsfirma Dimension Interesse an der Marke gefunden hatte. Die Produktion zu Hellraiser III war kompliziert und nach der falschen Vermarktung von 20th. Century Fox zu Barkers Film Nightbreed ging dieser an den amerikanischen Kinokassen unter. Nightbreed war ein Flop und Fox wandte sich von Hellraiser III ab. Es war schwer, einen neuen Geldgeber zu finden. Als Hauptgeldgeber fand sich später Dimension Films, die den Film anschließend unter ihrem Miramax-Label veröffentlichen würden. Zumindest die Regie übernahm hier noch immer ein Brite, Anthony Hickox. Während der Produktion sind zahlreiche Probleme entstanden die wiederum häufig mit Bob Weinstein zusammenhingen, allerdings unterscheiden sich die Aussagen von Hickox und Barker teilweise. Weinstein bestand auf mehr Action, mehr Gewalt und mehr Spezialeffekte. Dies resultierte unter anderem darin, dass Hellraiser III einer der ersten Horrorfilme mit computergenerierten Effekten wurde. Barkers Aussagen nach zu Urteilen fand die Effekte billig und bestand darauf, im Abspann nicht namentlich als Produzent genannt zu werden. Es gab einen Dissens zwischen Barker und Weinstein, beide einigten sich jedoch und Barker wird im Abspann wieder gelistet.

Am Ende ist Hellraiser III, wenn auch mit deutlichem Vorsprung der schwächste Ableger der ersten drei Filme, ein halbwegs solider Film geworden. Schauspielerisch wird der Film alleine von Doug Bradley getragen, der hier erneut die Rolle des Höllenpriester Pinhead übernimmt (tatsächlich der erste Film, wo dieser Name etabliert wurde). Doch alles, was die Vorgänger ausmachte fehlt in diesem Ableger. Der Film ist komplett auf Unterhaltung getrimmt. Es ist ein Film, der die 90er repräsentiert und den typischen Stil etablierte, wofür die Weinsteins heute bekannt sind. Hellraiser III ist gespickt mit fragwürdigen Onelinern, viel Splatter, explodierenden Autos und mehr Pinhead. Mehr Pinhead, mehr Cenobiten. Hellraiser III beweist, wer den Wunsch hat, so kann jeder ein sadomasochistisch veranlagter Cenobit werden. So unterhaltsam der Film ist, so plump ist er am Ende. Eleganter Horror vermischt mit Fantasy-Elementen mussten schneller Action und viel Gekröse weichen. Dimension wusste, es war der nächste Schritt der Reihe, in diese Richtung zu gehen. Zusätzlich war man sich um der Beliebtheit des Charakters Pinhead bewusst und spendierte diesem eine sehr großzügige Screentime.

Hellraiser III erfüllte seinen Soll schließlich und ein abschließender vierter Teil sollte die Höllensaga beenden (Spoiler: Sie haben gelogen). Doch hier bahnte sich gleich das nächste große Debakel an, was nach der Übernahme des Franchise durch Dimension entstanden ist. Bevor ich darauf eingehe, muss aber vorher noch erwähnt werden, dass die sogenannte zweite Trilogie, obwohl nie wieder das Niveau der ersten beiden Filme erreicht wurde, durchaus noch sehenswert ist. Hellraiser IV-VI stufe ich dabei wesentlich stärker ein als Hellraiser III. Den tatsächlichen Tiefpunkt erreichte das Franchise erst wesentlich später.

Fungierte Hellraiser III sowohl als Prequel was den Charakter Pinhead angeht sowie als offizielle Fortsetzung von Hellraiser II, so leitete der Film auch den damals geplanten finalen Akt ein, Hellraiser IV: Bloodline. Mit diesem Film setzte man nicht nur wieder mehr auf Horror, man brachte auch die phantastischen Elemente zurück und wagte sich sogar ins Weltall. So kurios das ganze klingen mag und so unbeliebt der Film bei vielen Zuschauern ist, so funktioniert er einwandfrei. Die Entstehungsgeschichte hingegen war ein regelrechtes Debakel. Dies ging sogar so weit, dass Regisseur Kevin Yagher aus Vor- und Abspann entfernt wurde und fortan als der berüchtigte Alan Smithee bekannt wurde (ein Synonym für Filmemacher, die darauf bestehen, nicht mehr mit der Produktion des Filmes in Verbindung gebracht zu werden). Bereits ein simpler Blick auf den englischsprachigen Wikipedia-Eintrag des Films aus dem Jahr 1996 macht den problematischen Dreh deutlich und liefert eigentlich sämtliche Infos. Miramax bestand drauf, mehrere Szenen aus dem Film zu entfernen, neu zu drehen, Pinhead früher in den Film einzuführen und Hellraiser IV ein unspektakuläres Happy End zu verschaffen. Insgesamt fehlen zum Rough Cut rund 25 Minuten. Aufgrund des Disputs mit Miramax stieg Yagher aus dem Projekt aus und Joe Chappelle übernahm seinen Posten für die restlichen Szenen, die noch gedreht werden mussten. All der Aufwand seitens Miramax lohnte sich jedoch nicht, Hellraiser IV war ein kommerzieller Flop und die Kritiken waren durchweg negativ. In den vergangenen Jahren relativierte sich die Sicht auf Hellraiser IV bei vielen Fans, vermutlich auch weil besonders die letzten Ableger der Reihe den filmischen Tiefpunkt erreicht haben. Zu Hellraiser IV existiert noch ein offizieller Workprint, der in den letzten Jahren für Aufsehen gesorgt hat. Der Workprint stellt einige der verlorenen Szenen wieder her und gibt einen Ausblick darauf, wie die ursprüngliche Vision des Filmes aussah, doch auch der Workprint ist noch weit entfernt von der ursprünglichen Fassung. Hellraiser IV gilt als negatives Beispiel, wie sehr das Eingreifen des Studios in die künstlerische Leitung einen Film beeinträchtigen kann. Auf ähnlich schmalem Grad wandelte auch Disney, als sie gleiches bei dem ersten Star Wars Spin-Off Rogue One in die Wege leiteten, aber das ursprüngliche Team samt Regisseur weiter mit an Bord blieben und somit ein gelungener Film entstanden ist.

Und damit endet die Kinogeschichte von Hellraiser, fortan würde die Saga in den Videotheken weitergehen. Obwohl Teil 4 gleichzeitig auch für die gesamte Serie das Ende bedeuten sollte, so wollte sich Dimension von der Hellraiser-Lizenz nicht trennen. Und eine Zeit lang war das gar nicht mal eine so schlechte Idee. Man lernte aus den Fehlern und setzte auf junge Filmemacher und verringerte die Auftritte von Pinhead, die nun wieder mehr an seine geringe Interaktion aus dem ersten Film erinnerten. Man legte eine knapp 4 jährige Pause ein und mit Hellraiser V: Inferno folgte eine atmosphärische Video-Fortsetzung. Regie führte hier der damals noch recht unbekannte Scott Derrickson (Sinister, Doctor Strange), der ebenfalls fürs Drehbuch verantwortlich war. Der Twist an der Geschichte war, die Story von Inferno war nie als Hellraiser geplant und es kommen im Original Draft auch keine Cenobiten vor. Dimension machte es sich hier sehr einfach und um die Hellraiser Lizenz weiter nutzen zu können, baute man die Story einfach um. Dabei entstanden ist ein atmosphärischer, ziemlich surrealer Mysteryfilm den einige Kritiker mit Filmen wie Jacob's Ladder oder aber dem Videospiel Silent Hill verglichen haben. Hellraiser V: Inferno gilt bis heute als Geheimtipp der Reihe und überzeugt von der Machart als aber auch schauspielerisch.

Dimension ging diesen Weg 2002 mit Hellraiser VI: Hellseeker weiter und wenn auch bei den Kritiken weniger gut angekommen, so zählt der Film bei den Fans als letzter sehenswerter Ableger der Reihe. Was danach folgte, ist kaum noch erwähnenswert. Die Produktionskosten wurden geringer und die Reihe verwandelte sich zu einem generischen Slasher-Franchise, wo nicht einmal die Anwesenheit eines Lance Henriksen noch etwas positives ausrichten konnte.

Bis heute hat Bob Weinstein nicht vor, das Franchise auf die Kinoleinwand zurückzubringen. Doch er hat auch nicht vor, sich von der Lizenz zu trennen. Diese erneuert sich immer wieder, sobald ein neuer Film gedreht wird. Damit man die Lizenz behalten darf, wird so ein Schund wie wie Hellraiser: Revelations produziert. Schlüsselfiguren wie Clive Barker und auch Doug Bradley sind unlängst fort und Clive Barkers Drehbuch für ein Remake des Originals gehört ebenfalls der Vergangenheit an. Ob nun Barkers neuster Hellraiser-Roman "The Scarlet Gospels" jemals verfilmt wird bleibt ungewiss. Zuletzt hatte Dimension größeres Interesse daran, die Lizenz zu erneuern und veröffentlichte Hellraiser: Judgment. Hier soll laut Kritiker ein gewisser aufsteigender Trend zu erkennen sein, doch bringen die Aussagen einen zum schmunzeln wenn man auf das zurückblickt, was diese Reihe einmal in der Horrorwelt darstellte. Die amerikanischen Rechteinhaber haben keine konkreten Pläne, wie man mit dem Franchise fortfahren soll. Genau so wenig möchte man sich von seinem Spielzeug trennen. Derzeit zählt nur, es zu besitzen. So lange kann man es auf dem Dachboden etwas staub ansetzen lassen. Bald wird die Lizenz wieder erneuert werden müssen und somit sollte die nächste Fortsetzung gesichert sein.

Dienstag, 13. März 2018

Review: Hibana: Spark




Japan 2016

Hibana: Spark
Romanvorlage: Naoki Matayoshi
Regie: Ryuichi Hiroki u.v.m.
Darsteller: Kento Hayashi, Kazuki Namioka, Masao Yoshii, Tomorowo Taguchi, Mugi Kadowaki
Episoden: 10
Distributor: Netflix
Genre: Drama-Serie


Leichte Spoiler zu Episode 8-9


Durch eine Berichterstattung bei NHK World wurde ich bereits vor einigen Jahren auf Naoki Matayoshis Roman "Hibana: Spark" aufmerksam. In Japan löste das Buch einen regelrechten Hype aus und bescherte dem jungen Manzai-Künstler (geboren 1980) im Jahr 2015 sogar den begehrten Akutagawa Preis, der Literatur-Debütanten überreicht wird. Zwischen der Veröffentlichung des Buches, des Akutagawa Preises und der TV-Serie von Netflix liegen gerade einmal rund 2 Jahre. Doch der Erfolg dieser Geschichte war damit noch nicht am Ende. Erst zum Ende vergangenen Jahres erschien ein exklusiv in Japan veröffentlichter, alternativer Kinofilm mit einem komplett neuem Ensemble an Darstellern. Da Matayoshis Roman meines Wissens nach bisher nicht im Westen erschienen ist und es weder eine deutsch- oder englischsprachige Übersetzung gibt, fehlt mir leider die Referenz zu dem Buch und daher sind mir Vergleiche zur Originalvorlage leider nicht möglich.

Wenn das Buch also nicht verfügbar ist, dann muss halt die Serie herhalten. Aufgrund einiger Empfehlungen (besonders zur Zeit des Japanuary) habe ich mir die Serie vor einiger Zeit auf meine Watchlist gepackt. Mit 10 Episoden und über 50 Minuten Laufzeit pro Episode bei einer Vorlage, die keine 200 Seiten umfasst, ist diese Netflix-Produktion üppig ausgestattet. Ich tue mich bei Serien bekanntlich sehr schwer und normalerweise bin ich für eine Serie bei einer rund 10 stündigen Laufzeit pro Staffel bereits nicht mehr zu haben. Hibana ist glücklicherweise eine der Serien, die unglaublich gut auf meine Interessen und Sehgewohnheiten abgestimmt ist und keinen so extremen Spannungsbogen besitzt, dass man sich genötigt fühlt, mehr als 2 Episoden pro Tag zu schauen.

Im Fokus der Geschichte steht die japanische Form der Comedy "Manzai". Diese extrem beliebte art der Komik umfasst in den meisten Fällen ein Duo an Komikern und ist berüchtigt für ihre extrem schnellen Wortwechsel die oftmals auf Missverständnissen und Wortspielen basieren. Im Mittelpunkt selbst steht in dieser Serie aber nicht die Komik sondern die Leute, die mit Manzai groß rauskommen wollen. Ziel des Erfolges sind in Japan nicht einmal die Live-Bühnen sondern das Fernsehen.
Das zentrale Thema der Serie dreht sich jedoch um eine Freundschaft, Bewunderung, Träume und eigentlich alles, was normalerweise ein Großstadtroman zu bieten hat. Dafür, dass es in Hibana um die Komik geht, werden am Ende tatsächlich mehr Tränen vergossen als man Leute zum lachen gebracht hat. Hibana: Spark ist eine waschechte Drama-Serie, oftmals sehr experimentell, ausgestattet mit wunderschönen Bildern und einem exzellent aufgewählten Cast. Für eine japanische Drama-Serie ist Hibana fast schon bodenständig.

Über einen Zeitraum von 10 Jahren erstreckt sich die Geschichte und wir begleiten den aufstrebenden Comedian Tokunaga mit seinem Manzai-Partner Yamashita, gemeinsam haben sie die Formation "Sparks" gegründet. Nach einem missglückten Auftritt lernt Tokunaga den älteren, extrovertierten Comedian Kamiya des Duos "Ahondara" (Schwachkopf) kennen. Schnell ist Tokunaga von der art Kamiyas und seinem Manzai fasziniert und bittet ihn schließlich darum, ihn als Schüler zu akzeptieren. Als Kamiya ebenfalls nach Tokio zieht, beginnt eine einzigartige Freundschaft, die viele Hürden zu überstehen hat.

Bereits die Pilotfolge ist optisch ein Fest für die Sinne. Die mehr als anständigen Produktionskosten werden hier auf den ersten Blick deutlich. Die Serie entfaltet einen wundervollen Charme und man möchte wissen, wie es mit diesen ungleichen Charakteren weitergeht. Inhaltlich haben wir es hier natürlich lediglich mit einer typischen "streben nach Ruhm" Geschichte zu tun. Doch es ist die Art, wie diese Geschichte erzählt wird, genau darin liegt die eigentliche Stärke von Hibana. Oftmals passiert in den einzelnen Folgen nicht einmal dramatisch viel (worin automatisch auch der größte Kritikpunkt liegt). Erstmals empfand ich diese Leere jedoch in Episode 5 und dabei sollte es auch bis auf wenige Segmente in den weiteren Folgen bleiben. Trotzdem bleiben aber auch automatisch einige Chancen ungenutzt. Über die Charaktere und ihrer Vergangenheit erfährt man nur selten etwas. Tokunagas Kindheit wird öfters mal angeschnitten aber nie wirklich zufriedenstellend zu einem Ende gebracht (seine Kindheit in einem Elternhaus der unteren Mittelschicht zum Beispiel oder das persönliche Verhältnis zu seiner Schwester). Auch die heftigen Zeitsprünge von mehreren Monaten bis zu einem Jahr pro Episode machen sich bemerkbar. Bei der langen Laufzeit muss man da inhaltlich eigentlich wesentlich mehr zu sehen bekommen oder aber man hätte sich auf 30-40 Minuten Laufzeit pro Episode einigen sollen. Besonders zu leiden haben darunter die letzten beiden Episoden. Feierten die Sparks in Episode 8 noch unerwartete Erfolge und konnten von ihrem Einkommen als Comedians leben, so rangen sie in Episode 9 auf einmal wieder um ihre Existenz und mussten wieder in Supermärkten auftreten. Die Geschicke wurden hier nicht wirklich konsequent fortgeführt und es kam mir des öfteren mal vor, als gäbe es immer mal wieder größere Lücken in der Geschichte.

Diese erzählerischen Schwächen werden aber immer wieder durch herausragende schauspielerische Leistungen von Kento Hayashi und Kazuki Namioka gerettet. Obwohl die Serie durch die Bank weg stark besetzt ist (in einer etwas kleineren Rolle ist auch "Tetsuo: The Iron Man" Tomorowo Taguchi ein fester Bestandteil der Besetzung), so sind es diese beiden Schauspieler, die die Serie tragen. Besonders interessant sind die Unterschiede beider Charaktere. Ist Tokunaga schüchtern, zurückhaltend und beinahe introvertiert, so ist der hektische Kamiya das passende Gegenstück zu ihm.

Angemerkt muss noch werden, es fließen verdammt viele Männer-Tränen in dieser Serie. So viele, dass einige Zuschauer hier vielleicht sogar etwas abgeschreckt werden könnten. Die emotionalen Momente habe ich jedoch nie als Overacting wahrgenommen. Viele japanische Drama-Serien driften oftmals gerne in eine zu theatralische Darstellung ab, was gleichzeitig für eine gewisse unfreiwillige Komik sorgt. Den salzigen Geschmack der Tränen kann man als Zuschauer von Hibana beinahe schmecken. Es sind ehrliche Tränen über geplatzte Träume, Freundschaften und über falsche Entscheidungen. Vermutlich kann sich mit der ein oder anderen vergossenen Träne auch der Zuschauer Dann und Wann mal identifizieren. Die ganze Inszenierung wird dabei noch von unglaublich passender Musik begleitet.



Resümee

"Hibana: Spark" hat mich 10 Episoden lang auf eine beeindruckende Reise durch Tokio mitgenommen. Beinahe kann man diese Mini-Serie auch als einen kleinen Reiseführer bezeichnen. Mit dem sympathischen Cast wird man lachen, mitfiebern und vielleicht auch mal weinen. Streiten kann man sich über die üppige Laufzeit der Episoden und ob manchmal nicht etwas Straffung angebrachter gewesen wäre. Dennoch weiß die Serie auch in der veröffentlichten Form zu überzeugen. Mehr noch, die Serie bringt eigentlich alles mit, was der japanischen Filmwirtschaft derzeit fehlt. Es wäre schön, irgendwann mal die Romanvorlage lesen zu können, auch wenn eine Übersetzung derzeit wohl ziemlich unwahrscheinlich sein dürfte. Die Serie uneingeschränkt zu empfehlen wäre falsch und vielleicht liege ich eher mit der Empfehlung als Geheimtipp richtig (am ehesten kann man Hibana mit Takeshi Kitanos Film "Kid's Return" aus dem Jahr 1996 vergleichen). Ein Hang zur japanischen Kultur sollte vorhanden sein, vielleicht auch noch etwas Experimentierfreude. Eine faire Chance sollte man der Serie aber auch geben, wenn man meint, man würde Netflix bestens kennen.