Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Mittwoch, 28. Februar 2018

Rezension: Die Maske (Fuminori Nakamura)


Foto: © Kenta Yoshizawa 



Fuminori Nakamura - Die Maske

Originaltitel: Aku to Kamen no Rūru
Erschienen am 28.02.18 bei Diogenes
Übersetzung aus dem Japanischen: Thomas Eggenberg
Genre: Neo-Noir Thriller


Fuminori Nakamura nimmt uns diesmal mit in die tiefsten Abgründe einer wohlhabenden Familie. Alleine der Prolog zu seinem Roman, der in Japan im Januar in die Kinos kam (und ein internationaler Release nicht unwahrscheinlich ist, da es sich um eine aufwendige Produktion handelt), maßt eine unglaubliche Geschichte an. Eine langjährige Familientradition besagt, dass der jüngste Spross der Familie zu einem "Geschwür" erzogen werden soll. Ein Teufel, der Unheil in der Welt verbreiten soll. Eine absolute Konstanz scheint es bei dieser Tradition nicht zu geben, der junge Fumihiro Kuki hat aber das Unglück, dass sein Vater, ein Mann, der nicht nur Furcht einflößend ist sondern den er auch zutiefst verabscheut, ihn für dieses Schicksal auserkoren hat. Der alte Patriarch will sich damit einen eigenen Traum erfüllen der ihm verwehrt geblieben ist. Fumihiro soll Unheil verbreiten, schlechte Dinge tun und regelrecht Anarchie verbreiten. Aber nicht auf eine plumpe art, er soll das System von innen heraus zerstören. Bereits in jungen Jahren kommt Fumihiro hinter den Absichten seines Vaters. Als der Patriarch das Waisenmädchen Kaori für seine finsteren Pläne in die Familie aufnimmt, will Fumihiro alles tun, um das Mädchen zu beschützen. Es beginnt eine Geschichte, die sich über mehrere Dekaden erstreckt.

"Mein zweiter Sohn hat mit diesem Krieg zu tun", sagte er plötzlich, ohne mich anzuschauen. Im Fernsehen wurde über einen Bürgerkrieg irgendwo in Afrika berichtet. Gerade nannte der Nachrichtensprecher die Zahl der Toten. "Merk dir, was hier passiert. Sie sagen, es sei ein ethnischer Konflikt. Aber sie lügen. Man hetzt die Menschen absichtlich gegeneinander auf, und mein Sohn hat eine Konzession für den Wiederaufbau nach dem Krieg. Ich kann mich nicht erinnern, ihn zu einem Geschwür erzogen haben, aber dennoch benimmt er sich wie eines. Ich muss mir etwas einfallen lassen."

In Japan erschien "Die Maske" rund ein Jahr nach "Der Dieb" im Jahr 2010. Die Vergleiche zum Stil von Dostojewski sind nicht übertrieben. Wie der große russische Autor besitzt Nakamura eine eisige Kälte in seinem Stil, die direkt aus Sibirien kommen könnte. Gleichzeitig besitzt der Japaner eine bildliche Sprache, die während des Lesens nahezu lebendig wird. "Die Maske" kann daher oftmals bereits als ein sehr düsteres Märchen angesehen werden, welches in der modernen Gesellschaft spielt. Diese Geschichte, die im Prolog bereits bizarre Ausmaße annimmt  ist nur ein Bruchteil von dem, welche Wege Nakamuras Plot, der in mehrere Abschnitte und mehreren Zeitspannen aufgeteilt ist, noch zu bieten hat. Der Ich-Erzähler Fumihiro nimmt die Leser mit auf eine furiose Achterbahnfahrt, die trotz über 300 Seiten so schnell endet wie eine Kurzgeschichte.

Der Diogenes Verlag hat hier anscheinend Blut geleckt und setzt das Werk des Autors in deutscher Sprache glücklicherweise fort. Für die Übersetzung ist hier erneut der erfahrene Thomas Eggenberg zuständig (übersetzte mehrere Werke von Banana Yoshimoto), der Nakamuras fröstelnden Stil in eine flüssige deutsche Prosa übersetzt. Hoffen wir, dass Fuminori Nakamuras Werke sich im deutschen Buchhandel fortan etablieren werden.



Resümee

"Der Dieb" hat im letzten Jahr einen persönlichen Trend bei mir gesetzt und dieser hat sich in "Die Maske" fortgesetzt. Wenn ich Fuminori Nakamura lese, fangen meine Hände beim lesen an zu schwitzen. Es ist eine Geschichte, wo man als Leser stets auf alles gefasst sein muss und selbst immer auf der Lauer sein muss, ob der Autor ihn hier nicht auf eine falsche Fährte schickt. Angesiedelt zwischen einem Thriller im Neo-Noir Stil, gemischt mit einem Hauch Großstadtdrama und Coming of Age Geschichte, gelang dem Japaner hier ein erneutes Glanzstück. Beachten wir einmal nicht die Lobpreisungen im Vorfeld und konzentrieren uns auf seine Romane, die in Deutschland nun erhältlich sind. Darin steckt große Qualität, angefangen bei einer spannenden Geschichte bis hin zur Übersetzung und Präsentation. Nakamura wird von der US-Presse oftmals vorgeworfen, seine Werke seien nicht zugänglich genug um ein großes Publikum an Thriller-Fans anzusprechen. Diese Aussage kann ich erneut verneinen und hoffe, man wird sich nicht zu sehr von einigen Kritiken der englischsprachigen Presselandschaft blenden lassen. Sonst ergeht einem etwas, und darauf gebe ich sogar Brief und Siegel. Fuminori Nakamura ist Werbung für die japanische Literatur!


Doch die Aufkleber waren mir nicht wichtig. Ich tat nur so, um in den Augen meines Vaters wie ein Kind zu wirken. Ich wandte meinen Blick ab. Nein, er hatte mich nicht unter Kontrolle. Aber dann kam mir Kaori in den Sinn.
"Das reicht, geh", sagte er mit leiser Stimme. "Was guckst du denn so? So benimmt sich doch kein Kind. Du musst deine Rolle noch üben, Dummkopf. Etwas Einfältigeres als Kinder gibt es nicht."

Mittwoch, 21. Februar 2018

Review: Blade Runner 2049

Poster: Paul Shipper





USA 2017

Blade Runner 2049
Regie: Denis Villeneuve
Drehbuch: Hampton Fancher, Michael Green
Darsteller: Ryan Gosling, Harrison Ford, Dave Bautista, Robin Wright, Jared Leto, Edward James Olmos, Ana de Armas, Sylvia Hoeks, Carla Juri
Laufzeit: 164 Minuten
Genre: Science Fiction
Verleih: Warner (USA), Sony (International)
Premiere: 05. Oktober 2017
FSK: Ab 12




Warner und Sony haben sich diese Fortsetzung einiges kosten lassen. Rechnet man noch Gagen, Promotion und andere Bonis dazu, so liegt Blade Runner 2049 bei einem Budget von (geschätzt) beinahe 200 Millionen Dollar. Für die direkte Fortsetzung eines über 35 Jahre alten Science Fiction Klassikers, der, für viele Fans des Films, das perfekte Ende besaß und doch eigentlich keine Fortsetzung benötigte. Das größte Gesprächsthema bei Blade Runner 2049 nach dem Kinostart war nur noch das Budget. Die überschwänglich positiven Kritiken von Presse und Kinogänger wurden durch mäßige Einspielergebnisse überschattet, die weit unter den Voraussagungen sämtlicher "Experten" und "Analysten" lagen. Der Start des Films reichte in den USA problemlos für Platz 1 und bei einem weltweiten Einspielergebnis von weit über 250 Millionen Dollar von einem Flop zu sprechen klingt sehr vermessen, bei dem enormen Budget jedoch nicht von der Hand zu weisen. Man könnte also sagen, alles beim alten bei dem Franchise, denn auch das Original floppte damals im Kino auf spektakuläre weise (finanziell jedoch noch in ganz anderen Sphären). Der Heimkinomarkt wird also für Blade Runner 2049 die nächste Chance, Geld in die Kassen zu spielen. Eine erfolgreiche Performance bei den Oscar (immerhin nominiert in 5 Kategorien) könnte der Vision des Kanadiers Denis Villeneuve noch einmal weiterhelfen.

Es gibt dramatischere Flops als Blade Runner 2049, besonders wenn man die Umstände für die mäßigen Ergebnisse mitberechnet (direkte Fortsetung, Laufzeit, R-Rating). Wichtig ist, dass Blade Runner 2049 ein Film geworden ist, der das Zeug zu einem Klassiker hat. Oder etwa nicht? Den Film von Denis Villeneuve als zugänglich zu bezeichnen wäre wahrlich eine gewagte Aussage. Ich wills mal kurz und bündig machen, Blade Runner 2049 ist kein Film für ein breites Publikum und das kommerziellste, was diesem Film vielleicht noch anhaftet ist der Titelsong "Almost Human" von "Lauren Daigle", der nicht einmal im Film vorkommt sondern es lediglich auf den Soundtrack geschafft hat und im Abspann des Anime-Kurzfilms "Black Out 2022" von Shinichiro Watanabe.

Um den Geschehnissen in Blade Runner 2049 vollständig folgen zu können ist die Sichtung des Originals eigentlich unabdingbar. Die drei produzierten Kurzfilme (kostenlos zu sehen auf YouTube oder in HD auf der Blu-ray), die vor den Hauptereignissen im Jahr 2049 spielen, geben den Zuschauern einen etwas genaueren Einblick in die Welt, in der Blade Runner spielt. Besonders Charaktere wie der Industrie-Mogul Niander Wallace und der Replikant Sapper Morton, die im Film beide eine unglaublich kurze Rolle haben, bekommen in je einem Charakter-Kurzfilm ihren verlängerten Auftritt. Wer jedoch wissen will, was nur wenige Jahre nach den Ereignissen im Original geschehen ist, dem sei der bereits erwähnte Black Out 2022 von Shinichiro Watanabe (Cowboy Bebop, Animatrix) wärmstens empfohlen. Eine erstmalige Sichtung von Blade Runner 2049 erfordert also mehr oder weniger das komplette Paket um auch wirklich der Hauptgeschichte folgen zu können.

Für die Regie wurde Denis Villeneuve ausgewählt der sich mit Filmen wie Sicario und Arrival endgültig einen Namen machte und praktisch ein jährlicher Vertreter bei den Academy Awards und zahlreichen anderen Verleihungen ist. Die große Erleichterung bei vielen dürfte die geringe Beteiligung Ridley Scott's sein, der hier lediglich als Produzent fungiert. Scott's Sternstunden als Filmemacher sind ohne Zweifel vorüber und nach Alien: Covenant dürfte der geneigte Filmfan froh sein, dass man sich mit Villeneuve für einen noch immer unverbrauchten Filmemacher entschieden hat (ohne Scotts Verdienste natürlich klein zu reden). Dennoch darf man auch nicht vergessen, was der Kanadier für ein Filmemacher ist. Enemy mit Jake Gyllenhaal aus dem Jahr 2013 war ein surrealer Trip, der nicht selten die Züge eines Filmes von David Lynch annahm. Nicht wenig davon ist in Blade Runner 2049 geflossen. Villeneuve übernimmt die Rolle als Visionär und Kunstfilmer und erschuf seine völlig eigene Version von Blade Runner die ihren Tribut an das Original zollt, es aber nicht ein einziges mal ideenlos kopiert. Eine große Kritik in dem neuen Star Wars Episode VIII ist die große gähnende Leere, was die Erweiterung des Universums angeht. In Blade Runner 2049 ist zwar immer noch die Dystopie von Los Angeles der Hauptschauplatz, allerdings wurden die Schauplätze nicht nur erheblich erweitert, die Ereignisse verlagern sich auch noch und spielen sich später sogar in einem trostlosen Las Vegas ab. Das Original hingegen spielte sich zwischen einigen Schauplätzen in der Innenstadt (darunter das Bradburry Building), der Tyrell Corporation und mehreren Apartments ab und war aufgrund des Budgets relativ eingeschränkt, was die Möglichkeiten anging. Doch nicht nur die Schauplätze haben sich erweitert, wir bekommen im Jahr 2049 auch einen guten Blick auf die sterbende Erde. In Philip K. Dick's Roman und im Original lernten wir bereits, das die Leute, die es sich leisten konnten, den Planet unlängst verlassen haben. Die überbevölkerte Mittelklasse und die darunter sterben gemeinsam mit der Erde. Gebildet haben sich Ghettos und zahlreiche Gangs. Zeigte das Original noch viel Multikulti von Kaukasiern über etliche asiatische Kulturen bis hin zur Hare-Krishna, scheinen diese Grenzen im Jahr 2049 verschwommen zu sein und bis auf die abgeschotteten Replikanten scheint die Gesellschaft zu einem Einheitsbrei geworden zu sein.

Für die Geschichte und Drehbuch war überraschenderweise wieder Hampton Fancher mit an Board. Beim Erstling trug Fancher noch eine tragische Rolle, denn von seinem ursprünglichem Drehbuch blieb im finalen Film nicht viel übrig (ironisch genug, als einer der Produzenten hatte er aber noch einiges an Mitspracherecht). So dürfte Fans des Originals, die sich mit der Entstehungsgeschichte von Blade Runner befasst haben, besonders die Eröffnungssequenz von Blade Runner 2049 ins Staunen versetzt haben. Handelt es sich hierbei beinahe 1:1 um die ursprüngliche Eröffnungssequenz von Blade Runner, die nie realisiert wurde. Die eigentliche Kontroverse besteht jedoch darin, die Geschichte des Originals fortzusetzen anstatt auf eine vollständig neue Geschichte zu setzen. Eine Fortsetzung bedeutete natürlich auch, Rick Deckard, den ehemaligen Blade Runner, aus dem Ruhestand zurückzuholen. Bereits im Vorfeld war bekannt, dass Harrison Ford offen dafür war, die Rolle noch einmal zu spielen. Von einer Beteiligung von Sean Young als Rachael, die in den letzten Jahrzehnten in Hollywood stark bei den verschiedensten Filmemachern in Ungnade gefallen ist, war jedoch nie die Rede. Die Geschichte des Originals fortzusetzen gelingt Blade Runner 2049 mal mehr, mal weniger gut. Positiv anzumerken ist jedoch, dass es wenig bis gar keine chronologischen Widersprüche gibt, die Zuschauer aber weiterhin mit vielen offenen Fragen am Ende zurückgelassen werden. Ein zusätzlicher Cliffhanger am Ende deutet auf eine weitere Fortführung der Handlung hin, die im Augenblick aber als relativ unwahrscheinlich anmaßt.

In Blade Runner 2049 übernimmt Ryan Gosling die Rolle eines Blade Runners, ein Blade Runner, der Jagd auf Seinesgleichen macht (nämlich Replikanten). Hier handelt es sich nicht um einen Spoiler sondern um eine Info, die der Zuschauer bereits in der Eröffnungssequenz erhält. Der namenlose Blade Runner ist dabei keineswegs vergleichbar mit Rick Deckard. Auch ist Ryan Goslings Charakter nicht darauf ausgelegt, die Performance von Harrison Ford aus dem Original zu kopieren. Die Geschichte von Blade Runner 2049 spielt nach dem großen Blackout aus dem Jahr 2022. Dieses Ereignis besiegelte nicht nur das Ende der Tyrell Corporation sondern sorgte auch dafür, dass die Daten sämtlicher Replikanten verloren gingen. Das LAPD verstärkte sich darauf, die verbliebenen Replikanten ohne eingeschränkte Lebenserwartungen dennoch aufzuspüren und sie in den "Ruhestand" zu schicken. Zur gleichen Zeit gerät ein blinder Industrie-Mogul namens Niander Wallace an die Macht, der mit der Produktion seiner eigenen Replikanten die Welt verändern will. Ryan Goslings Charakter K. bemerkt schon bald, dass er vielleicht eine ganz besondere Persönlichkeit ist.

Zu meiner großen Überraschung hat man es hinbekommen, die Rolle eines alternden Rick Deckards ziemlich gut in den Film zu integrieren. Ganz ohne den Einsatz von Nostalgie war dieses Vorhaben wohl nicht möglich und es gehört zu den wenigen Momenten im Film, wo Denis Villeneuve direkt auf das Original eingeht. Der Cameo des sich im Ruhestand befindenden Blade Runners Gaff, erneut gespielt von dem großartigen Edaward James Olmos, wird aber wohl als großes Rätsel in Erinnerung bleiben, den hier gibt es erstmals Ungereimtheiten im Bezug auf das Original.

Der unverwechselbare Soundtrack von Vangelis wird hier ebenfalls nicht kopiert, nicht einmal den Versuch wagten die Komponisten hier auch nur ansatzweise, diese Musik zu kopieren. Stattdessen ist der Soundtrack zu Blade Runner 2049 zwar stets präsent, aber weitestgehend unauffällig mit Ausnahme von 2-3 sehr bombastischen Stücken für einige furiosere Szenen. Aufgrund kreativer Uneinigkeit gingen Villeneuve und sein langjähriger Komponist Jóhann Jóhannsson getrennte Wege. Anschließend sprangen für die Fertigstellung des Soundtracks Hans Zimmer und Benjamin Wallfisch ein. Der Soundtrack macht eindeutig einen guten Job auch wenn die Arbeit von Vangelis hier mehr als schmerzlich vermisst wird.  MelancholischeTracks wie "Memories of Green" oder "Blade Runner", der Track, der den Abspann im Original einleitet, sind auf dem Blade Runner 2049 Soundtrack nicht zu finden.



Resümee

Trotz einer pikanten Überlänge und einer Geschichte, die der langen Laufzeit nicht ganz gerecht wird, so ist Blade Runner 2049 dennoch einer der brillantesten Science Fiction Filme der letzten Jahre geworden. Visuell, handwerklich und schauspielerisch (wenn auch ein Rutger Hauer ebenso schmerzlich vermisst wird wie Komponist Vangelis) beeindruckend, kommt die Vision von Regisseur Denis Villeneuve stets zur Geltung. Neben Nolans Interstellar und Villeneuves eigenem Werk Arrival gehört Blade Runner 2049 bereits jetzt zur Riege der modernen Science Fiction Klassiker. In den nächsten Jahren hat der Film die Chance, weiter diesen Ruf zu festigen um vielleicht einmal so ein Klassiker zu werden wie das Original. Als direkte Fortsetzung eine Glanzleistung, sicherlich kein Film für ein breites Publikum und ganz bestimmt auch kein entspanntes Werk für Zwischendurch. Auf Blade Runner 2049 muss man sich einlassen können. Blu-ray in den Player, abschalten und sich tragen lassen. Dann kann die Reise in diese befremdliche Science Fiction Dystopie auch schon beginnen. Eine Überraschung, die im Vorfeld so nicht abzusehen war.



Dienstag, 13. Februar 2018

Rezension: 13 Stufen (Kazuaki Takano)






Japan 2001

13 Stufen
Originaltitel: Jūsan Kaidan
Autor: Kazuaki Takano
Verlag: Erschienen als Taschenbuch beim Penguin Verlag (2017)
Übersetzung: Sabine Mangold
Genre: Unterwelt-Thriller, Gesellschaftsdrama



Was ist ein Page-Turner? Ich könnte jede Wette darauf eingehen, viele werden hier entweder an eine Drama-Serie aus Südkorea denken oder eine Erotikdarstellerin. Doch Kazuaki Takanos "13 Stufen" ist nichts von beidem sondern dafür ein waschechter Page-Turner der Literatur. Zu 90% braucht eine Geschichte immer eine lange Zeit, sich zu entfalten. Es ist vergleichbar, als lasse man eine Flasche Wein atmen damit dieser seine vollen Aromen nach dem entkorken entfaletn kann. Bei Kazuaki Takanos Roman ist es anders. Man entkorkt den Wein und kann ihn sofort genießen. Mit einem beklemmenden Prolog führt der Japaner seine Leser nahezu schonungslos in seine Geschichte ein. Schon lange hat mich der Prolog eines Romans nicht mehr so kalt erwischt wie hier. Nüchtern und doch schmutzig erzählt Takano hier die Geschichte eines Insassen, der seit nun mehr als 7 Jahre unschuldig im Gefängnis auf seine Hinrichtung wartet. Tag für Tag die gleiche Todesangst mindestens einmal am Tag wenn die Henker durch die Gänge streifen. Wann werden sie vor seiner Zelle halt machen?

"Es herrschte Still, dann erhob sich plötzlich ein großer Tumult: Plastikgeschirr wurde gegen die Wand geschmettert, schepperte zu Boden, wildes Trampeln und ein anhaltendes bestialisches Gebrüll, das unmöglich von einem einzelnen Menschen stammen konnte und den restlichen Lärm übertönte.
Kihara hörte, wie jemand sich entleerte, gefolgt von dem hässlichen Geräusch platschender Schritte, die durch eine Lache stapften.
Kihara lauschte angestrengt und versuchte, die einzelnen Geräusche zuzuordnen. Mit Entsetzen hörte er ein leisen Keuchen aus dem Lärm heraus. Dann vernahm er das Würgen eines von Todesangst gepeinigten Menschen, der sich krampfhaft erbrach, während er aus der Zelle geführt wurde. Kihara presste sich beide Hände auf den Mund, um den eigenen Brechreiz zu unterdrücken."

Im Jahr 1991 soll Ryo Kihara an einem Raubmord beteiligt gewesen sein. Er selbst kann sich an nichts mehr erinnern und beteuert seine Unschuld. Sämtliche Revisionen in den letzten 7 Jahren wurden abgewiesen, zu erdrückend sind die Beweise. Mittlerweile weiß Kihara nicht einmal mehr, ob seine Todesurteil überhaupt noch vollstreckt wird. Es ist jedoch die weitere Ungewissheit, die den Mann tagtäglich um sein Leben bangen lassen muss. Eines Tages erinnert sich Kihara während seiner monotonen Arbeit in seiner kleinen Zelle aber wieder an ein Detail, was in seinem Fall eine überraschende Wende bringen könnte. Da jede Sekunde zählt setzt er sich prompt an ein Schreiben, welches an seinen Anwalt gerichtet ist. Ein ungleiches Duo, ein stämmiger Gefängnisaufseher namens Nango und ein junger Ex-Häftling auf Bewährung namens Jun'ichi werden darauf angesetzt, den Fall aus den 90ern nochmal aufzurollen um die Wahrheit ans Licht zu bringen.

Es ist eine besondere Intensität, mit der Takano den Leser regelrecht umwickelt. In Japan zählt der Autor neben international gefeierten Autoren von Thrillern wie Keigo Higashino und Fuminori Nakamura zu den absoluten Bestsellerautoren in seiner Heimat, der feine Unterschied ist jedoch, dass der Autor nur alle paar Jahre mal einen neuen Roman veröffentlicht. "Jūsan Kaidan" -13 Stufen" war sein Debüt als Autor und kann dementsprechend nur als sehr beeindruckende Errungenschaft bezeichnet werden. Der Titel selbst beschreibt symbolisch die 13 juristischen wie bürokratischen Schritte die notwendig sind, um einen Häftling zum Galgen zu führen. Im Jahr 2003 wurde der Roman unter dem Titel "13 Kaidan" von Masahiko Ngasawa verfilmt.

Für die gelungene und rasante Übersetzung des Titels war die erfahrene Sabine Mangold zuständig. Die Japanologin dürfte vielen Lesern auch vielleicht als eine der früheren Übersetzerinnen des Werkes von Haruki Murakami bekannt sein.

"Als sie nach wenigen Schritten um die Ecke bogen blickte Jun'Ichi auf eine kahle Brandmauer. Auf dem verwitterten Putz hatten such über die Jahre Dreckschlieren gebildet. Es gab kein Tor, sondern nur eine unscheinbare Tür, die als Eingang direkt vom Bürgersteig in die Diele führte. Der Grundriss maß vielleicht zwanzig Quadratmeter. Jedenfalls war es für ein Einfamilienhaus eine äußerst dürftige Behausung."



Resümee

"13 Stufen" von Kazuaki Takano ist kein typischer Krimi. Alleine die beiden untypischen Ermittler machen diesen Fakt ganz schnell klar. In erster Linie befasst sich das Debüt des japanischen Autors mit dem japanischen Justizsystem. Besonders westlichen Lesern dürfte hier ein unglaublich bedrückender aber auch interessanter Einblick gewehrt werden. Im Fokus steht häufig der junge Jun'ichi, der nach einer zweijährigen Haftstrafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge sich wieder in die Gesellschaft integrieren will und auch muss. Das Ausmaß, was seine Tat angerichtet hat erlebt der junge Mann erstmals mit wenn er sich die neue Behausung der Eltern ansieht, die eine enorme Summe an Schmerzensgeld und Schadensersatz an die Familie des Opfers zahlen müssen. Obwohl Jun'ichi aus Notwehr handelte ist und bleibt er ein gebrandmarkter Ex-Sträfling. Ein Status, mit dem man es in jeder Gesellschaft, besonders aber in der japanischen enorm schwer hat. Dies reicht so weit, dass der eigene Bruder Jun'ichi einen "Mörder" nennt und für sämtliches Unglück innerhalb der zerrütteten Familie verantwortlich macht. Die Nebenschauplätze in "13 Stufen" sind also nicht weniger interessant als der eigentliche Plot Plot um einen Mann, der tatsächlich unschuldig im Todestrakt sitzt. Immer wieder begeistert die Geschichte mit neuen Wendungen und  furiosem Stil. Liebhaber der japanischen Literatur wie aber auch Fans von unkonventionellen Thrillern werden hier gleichermaßen auf ihre Kosten kommen.