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Freitag, 28. Juli 2017

Rezension: Couchsurfen und andere Schlachten (Arnon Grünberg)



(Foto: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag)





Gesammelte Reportagen 2013

Couchsurfen und andere Schlachten
Autor: Arnon Grünberg
Herausgeber und Vorwort: Ilija Trojanow
Verlag: Diogenes
Übersetzung: Rainer Kersten
Genre: Reportagen





"Ich komme mit einem jungen Australier ins Gespräch, der fünf Tage auf dem Flughafen von Prag übernachtet hat, bevor er Unterschlupf bei Martina fand. Mitten auf seiner Weltreise ging ihm das Geld aus. Der moderne Obdachlose ist eine dekadente Spezies.
Neben dem Australier liegt ein Pärchen. Er aus Frankreich, sie aus Spanien. Der Unterschied zwischen Liegen und Sitzen ist fließend. So wie auch unklar ist, wo der Pyjama beginnt und die Jeanshose endet. Ich würde sagen: Die Jeanshose ist der Pyjama.
>>Warum hast du dich zum Couchsurfen angemeldet?<<, frage ich Martina.
>>Früher musste ich in eine Bar, um Leute zu treffen<<, sagt sie. >>Jetzt kommen sie zu mir. Ich kam zu Verabredungen auch immer zu spät, Jetzt komme ich nie mehr zu spät.<<
>>Habt ihr Hunger?<<, frage ich. >>Kann ich euch zu einem Essen in einem guten Restaurant einladen?<<
Diese Matratzengruft ist ja schön und gut, aber bevor ich mich dazulege, möchte ich doch noch was Leckeres essen.
>>Ich geh nicht mehr aus dem Haus<<, sagt Martina. >>Ich will mich betrinken und high werden, außerdem habe ich schon gegessen.<<
Obwohl man es nach dieser Äußerung nicht vermuten sollte, hat Martina eine feste Stelle in einer Werbeagentur. Sie selbst nennt sich <Sklavin des Kapitalismus>. Ihr wäre es lieber gewesen, fährt sie fort, die Revolution von 1989 hätte erst 1990 stattgefunden, dann hätte sie wenigstens noch eine Auszeichnung der sozialistischen Kinder- und Jugendorganisation bekommen."
(Aus der Reportage "Alkoholismus mit Rollkoffer". Autor: Arnon Grünberg. Übersetzung: Rainer Kersten. Verlag: Diogenes)



"Couchsurfen und andere Schlachten" ist ein recht ungewöhnlicher Titel, der aus purer Neugierde auf meinem Tisch der Neuerscheinungen gelandet ist. Brandneu ist Couchsurfen allerdings nicht, ich bespreche hier die neue Taschenbuchausgabe eines Titels, der bereits 2013 exklusiv für den Diogenes Verlag zusammengestellt wurde. Hier waren also gleich mehrere Nationen am Werk.

Der niederländische Schriftsteller Arnon Grünberg (der übrigens fließend die deutsche Sprache spricht, das hier vorliegende Werk wurde dennoch aus dem Niederländischen von Rainer Kersten übersetzt) ist für seinen schwarzen Humor und seinen Satiren bekannt. In seiner Heimat hat er über die Jahre sämtliche wichtige Preise abgeräumt und auch in Deutschland erlangte er über die vergangenen Jahre Bekanntschaft. Ein Grund dafür dürfte auch "Couchsurfen und andere Schlachten" sein. Auf über 400 Seiten wurden Arnon Grünbergs Reportagen in einer nicht chronologischen Reihenfolge zusammengetragen mit dem Ziel, die Leser an Orte zu bringen, die sie vermutlich selbst nie erreichen werden (und wollen). Grünbergs Wege führten von Osteuropa bis in den nahen Osten mit etlichen Zwischenstopps, darunter der Kosovo und Montenegro. Ein Wunsch des Autors war es, aus seiner Schriftsteller-Monotonie zu entfliehen, ein Abenteuer erleben zu wollen und die Sehnsucht danach, etwas gänzlich neues zu erleben. Grünberg ist dabei nie Grünberg selbst, er spielt Rollen, die spielt er manchmal so gut, dass er Spaß an seinen neuen, temporären Identitäten findet. Seine Reportagen datieren zurück ins Jahr 2006. Dort begleitete er die holländische Armee nach Afghanistan.

"Schließlich gibt es kein größeres Glück als das Befriedigen der eigenen Neugier. Die Rolle des Schriftstellers als reiner Ästhet - soweit es diese Spezies überhaupt noch gibt - war jedenfalls keine, die ich je für mich angestrebt hatte. In einer schmutzigen Welt kann auch der Schriftsteller nicht mit sauberen Händen heraumlaufen."

In seinem Vorwort verspricht Grünberg nicht zu viel. Die erste Reportage des Sammelbandes -Alkoholismus mit Rollkoffer - prägt gleichzeitig auch den Titel des Buches. Zusammen mit einem Freund geht Grünberg dem Phänomen des Couchsurfings nach. Dort bieten Leute ihr Sofa wildfremden Leuten an, bei ihnen zu übernachten. Man könnte beinahe sagen, dieser Trend ist die Partnerbörse für Reisende, denn auch auf Couchsurfing.com (die Reportage ist von 2008, die Website ist jedoch noch immer beliebt wie zu damaligen Zeiten) muss man sich erst einmal annähern, bevor es ans Eingemachte geht. Mit viel Humor und einer charmanten Dreistigkeit berichtet Arnon Grünberg von einer kuriosen Woche des Couchsurfen in verschiedenen Ländern Europas (ein Besuch in Deutschland durfte natürlich nicht fehlen). Immer wieder lässt Grünberg seine persönlichen Einflüsse in seine Texte mit einfließen, hier ist er nicht nur der Journalist, sondern auch der Romancier. Am Ende merkt der Autor an, dass das Couchsurfen mitunter zu den glücklichsten Momenten in seinem Leben gehörte, eine Aussage, die ich ihm als neutraler Leser sogar abkaufe.

"Couchsurfen und andere Schlachten" lebt von seiner Kurzweil. Die Reportagen sind alle nicht lang und wurden kompakt zusammengefasst. Jede neue Reportage ist ein neues Abenteuer, auch für die Leser des Buches. Der Tonfall einer jeden Reportage unterscheidet sich von der davor. So kommt eine unglaublich bunte Mischung an Stilen zusammen. Doch bei all den Kuriositäten lernt man auch die ernste Seite Grünbergs kennen. Etliche Reportagen sind mit kurzen Anekdoten aus dem Leben des Autors geschmückt, diese wirken jedoch nie fehl am Platz sondern fügen sich wunderbar in die jeweilige Erzählung ein. Es ist besonders Grünbergs melancholischer Unterton, der diesen Erzählungen den letzten Schliff verleiht.

"Ansonsten kommt in jedem Leben der Moment, in dem man alles rundheraus leugnen muss, empört leugnen, wie die beleidigte Unschuld. So überlebt man. Oder auch nicht. Der Rest ist Melancholie."



Resümee


Sympathisch, sarkastisch und bissig. Arnon Grünbergs Reportagen bieten neben "Couchsurfen" eine menge "andere Schlachten". Beim lesen der Reportagen könnte man meinen, der Autor würde die Schlacht nicht mehr heil überstehen, letztendlich meistert Grünberg sämtliche Hürden jedoch mit einer beinahe schon unverschämten Eleganz. Ob es einfach die Absurditäten des Alltags sind über die der Autor berichtet oder auch sehr bewegende Momente, jede Reportage Grünbergs ist ein kleines Unikat. In diesem Jahr der bisher ungewöhnlichste Titel, den ich gelesen habe. Ungewöhnlich jedoch auf eine sehr angenehme Art und Weise.

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