Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Donnerstag, 28. April 2016

Rezension: Kirschblüten und rote Bohnen (Durian Sukegawa)







Japan 2013

Kirschblüten und rote Bohnen
Originaltitel: An
Autor: Durian Sukegawa
Deutsche Veröffentlichung: März 2016 bei DuMont
Übersetzung: Ursula Gräfe
Genre: Drama, Slice of Life


">>Sie begleitete uns zum Bahnhof. Sie weinte und entschuldigte sich ununterbrochen. Die ganze Nacht lang hatte sie an einer Bluse für mich genäht. Eine Bluse, wie es sie kein zweites Mal gab. Aus feinstem weißem Musselin. Ich hatte so etwas noch nie getragen. Allein der Gedanke, auch nur zeitweise von meiner Familie getrennt zu sein, zerriss mir das Herz. Ich stand in meiner neuen weißen Bluse am Bahnhof und klammerte mich an meine Mutter. Wie weinten. Mein anderer Bruder und meine Schwester waren nicht mit zum Bahnhof gekommen. Aber als wir an der Haustür voneinander Abschied  nahmen, hatten meine Schwester und ich auch die ganze Zeit über geweint. >Wein doch nicht<, sagte ich immer wieder, >ich komme ganz bestimmt zurück<. So stiegen wir in den Zug nach Tokio. Eine ganze Nacht lang schaukelten wir durchs Land. Als wir endlich angekommen waren, sagte mir mein Bruder, wer Lepra hätte, so wie ich, dürfe nie mehr nach Hause.>>"
(Kirschblüten und rote Bohnen, Durian Sukegawa, Übersetzung: Ursula Gräfe, DuMont Buchverlag)



Wenn deutsche Leser die Namen "DuMont" und "Ursula Gräfe" vernehmen, dann blitzen meistens unvergessene Momente auf, die mit Parallelwelten, geheimnisvollen Frauen und Schafsmännern zu tun haben. Die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen dem DuMont Buchverlag aus Köln und der Übersetzerin Ursula Gräfe haben das umfangreiche Werk von Haruki Murakami in Deutschland erst einmal populär gemacht. In der heutigen Besprechung geht es zwar auch um das Erfolgsduo und japanische Literatur, der Autor ist aber diesmal jemand ganz anderes. Durian Sukegawa, so der leicht ungewöhnliche Name des Autors, ist in Japan erfolgreich als Multitalent unterwegs. Ob als Radio- Fernsehmoderator oder gar als Kabarettist oder Punkmusiker.

Durian Sukegawa hat sich aber auch als Autor versucht und das sogar mit relativ ruhigen Tönen. "Kirschblüten und rote Bohnen", ein Titel, der in Japan ganz einfach "An" heißt (dazu gleich mehr), war in seinem Heimatland ein überraschender Bestseller und erzählt die melancholische Geschichte von drei Personen unterschiedlichster Natur und Altersklasse. Und das, was die Ereignisse in diesem ruhig erzählten Roman ins Rollen bringt, ist ausgerechnet eine Süßspeise.

Als "An" bezeichnet man die aus roten Bohnen hergestellte süße Paste, die als Füllung für die japanischen Pfannkuchen (Dorayaki) dient. Die Geschichte beginnt mit Sentaro, der in so ziemlich allen Lebenslagen gescheitert ist, bereits einmal im Gefängnis saß und nun einen Haufen Schulden zu begleichen hat. Seit einiger Zeit ist Sentaro für einen kleinen Dorayaki Imbiss zuständig, dem Doraharu. Dort fristet Sentaro sein unspektakuläres Dasein mit den täglich gleichen monotonen Aufgaben. Als Bäcker versucht sich Sentaro schon gar nicht mehr, weil er es nicht schafft, eine leckere selbstgemachte Bohnenpaste zu kreieren. Also setzt er auf Massenware die aus China in Kanister abgefüllt wird und direkt zu Sentaro ins Doraharu geliefert werden. Eines Morgens reagiert eine alte Frau, weit über 70 Jahre alt und mit deformierten Händen, auf Sentaros Stellenausschreibung. Diese hat er weniger aus dem Grunde ausgegeben, um eine helfende Hand bei der Arbeit zu erhalten, sondern viel mehr um der Einsamkeit während seiner Arbeitszeit zu entkommen. Die selbstbewusste Tokue will den Job, doch immer wieder lehnt Sentaro ab. Doch die alte Frau hat ein Argument vorzuweisen, welches Sentaro nicht ablehnen kann. Die beste selbstgemachte Bohnenpaste, die er jemals probieren wird. Über 50 Jahre Erfahrung befinden sich in Tokues An. Zwischen Sentaro und Tokue entwickelt sich eine ungleiche Freundschaft und er lernt eine menge über die harte Vergangenheit der alten Dame kennen.

Im laufe der Geschichte wird auch noch die Schülerin Wakana, die aus komplizierten sozialen Verhältnissen kommt, teil dieser ungewöhnlichen Entourage. Durian Sukegawa nimmt sich Zeit wie ein Senmeister, seine Figuren in die Geschichte einzuführen und ihre persönliche Geschichte wie bei einer Emakimono aufzudecken. Dies ist an sich bereits eine der großen Stärken der japanischen Literatur. Auf den ersten Blick liest sich Durian Sukegawas Ensemble sogar nach den absoluten Stereotypen. Nach den ersten oberflächlichen Annäherungsversuchen wird der Leser auch genau diesen Eindruck erhalten. In der Ruhe liegt jedoch die Kraft, denn von jedem der drei werden zahlreiche Facetten und Hintergrundgeschichten entfacht. Das schöne an "Kirschblüten und rote Bohnen" ist jedoch die beinahe schon zärtliche Atmosphäre. Hier gibt es keinen Kitsch oder deplatzierte Spannungsbögen, die künstlich aufgezogen wurden. Obwohl es aber diese üblichen Highlights nicht gibt, plätschert die Geschichte alles andere als einfach dahin. Der flüssige Erzählstil des Autors sorgt eher dafür, dass das handliche Buch schneller ausgelesen ist, als man annimmt.

Wie bereits oben erwähnt war einmal mehr die Japanologin Ursula Gräfe für diese flüssige und gut lesbare Übersetzung zuständig. Viele Leser werden sie wohl stets mit Haruki Murakami verbinden, aber ich kann auch an dieser Stelle sagen, es gehen weitaus mehr Übersetzungen auf ihr Konto. Mit ihrer langjährigen Erfahrung hat sie auch "Kirschblüten und rote Bohnen" zum Blühen gebracht. Komplizierte Fußnoten gibt es hier nicht, wie immer wurden einige wichtige Erklärungen zu japanischen Begriffen elegant in den Satz mit eingebaut. An sich ist Durian Sukegawas aber sowieso eine Geschichte gelungen, die ohne komplizierte Handlungsstränge auskommt.

Im Jahr 2015 ist "Kirschblüten und rote Bohnen" (ebenfalls unter dem gleichnamigen japanischen Titel "An") von Naomi Kawase erfolgreich verfilmt worden und gar als Beitrag nach Cannes und aufs Toronto Filmfestival eingesandt worden. Ich kann mich diesmal entspannt zurücklehnen sobald ich den Film schauen werde, denn durch das Buch kenne ich vermutlich mehr Inhalte, als der Film letztendlich in unter 120 Minuten zeigen wird. Neugierig bin ich dennoch. Wer den Roman gelesen hat und nun lust auf den Film hat, dieser wird nach kleinerer Kinoauswertung auch am 26. August in Deutschland auf DVD erscheinen. Eine HD-Variante auf Blu-ray wird meines Wissens leider nicht gelistet. Sollte ich den Film rezensieren, wird es dazu sicherlich noch einen Nachtrag geben.


Resümee

"Kirschblüten und rote Bohnen" verzauberte mich mit seiner sanften und ruhigen Atmosphäre sehr häufig während des Lesens. Durian Sukegawa erschafft Orte und Charaktere, mit denen man sich schnell anfreundet und auch mitleidet. Wem das Futter an in die deutsche Sprache übersetzte japanische Literatur unlängst ausgegangen ist, zögert nicht! Viele Elemente der modernen japanischen Literatur hat Durian Sukegawa in seine Geschichte untergebracht. Hoffen wir, von nun an wieder regelmäßiger Nachschlag aus Japan zu bekommen, denn die Dorayaki haben mal wieder Appetit auf mehr gemacht.


Samstag, 16. April 2016

Rezension: Am Ende bleiben die Zedern (Pierre Jarawan)




Buch-Trailer




Deutschland 2016

Am Ende bleiben die Zedern
Autor: Pierre Jarawan
Verlag: Berlin Verlag
Genre: Drama, Coming of Age


"Als Junge verspürte ich eine unstillbare Sehnsucht danach, den Libanon zu sehen. Es war die große Neugier nach einer unbekannten Schönheit, um die sich Legenden rankten. Die Art, in der Vater von seiner Heimat sprach, seine Leidenschaft und Begeisterung, griff wie ein Fieber auf mich über. Der Libanon, mit dem ich aufwuchs, war eine Idee. Eine Idee vom schönsten Land der Welt, mit alten und geheimnisvollen Städten, die sich an der steinigen Küste entlangreihten, um sich mit ihren bunten Häfen zum Meer hin zu öffnen. Dahinter; zahlreiche sich windende Passstraßen, an deren Flanken sich Flusstäler ausbreiteten mit fruchtbaren Ufern und dem perfekten Boden für den weltberühmten Wein. Und dann; die dichten Zedernwälder in den höheren und kühleren Gefilden, umgeben vom Libanongebirge, dessen Spitzen auch im Sommer schneebedeckt waren, sichtbar selbst von einer Luftmatratze aus, ganz unten auf dem Meer.
Wir standen an diesem See, atmeten dieselbe Luft und teilten dieselbe Sehnsucht. Ich denke, neben der Liebe zueinander gibt es zwischen zwei Menschen kein stärkeres Band als eine geteilte Sehnsucht."
(Aus: "Am Ende bleiben die Zedern", Pierre Jarawan, Berlin Verlag)



Nicht aufgrund aktueller Ereignisse, sondern aus zeitlichen Gründen ist es mir erst jetzt möglich, die Rezension zu Pierre Jarawans Romandebüt "Am Ende bleiben die Zedern" Online zu stellen. Das ist insofern schade, weil dieses Debüt eine viel frühere Aufmerksamkeit von mir verdient gehabt hätte. Denn hier haben wir mal wieder ein Vorzeigebeispiel, wie viel die junge, deutschsprachige Literatur wert ist. Man könnte meinen, sie sei unbezahlbar.

Als ich den Newsletter des Berlin Verlags vor einiger Zeit in meinem E-Mail Postfach vorfand, in dem das Debüt von Pierre Jarawan, einer der erfolgreichsten deutschen Poetry Slam Künstler, beworben wurde, wusste ich nicht viel damit anzufangen. Ich war, muss ich gestehen, relativ skeptisch. Man könnte schnell zur Annahme kommen, Pierre Jarawan will hier vielleicht auf einen Zug aufspringen, ein aktuelles Thema in Deutschland mit eleganten Worten in Buchform zu verpacken. Doch da war etwas an der Beschreibung des Buches in diesem Newsletter, was meine Aufmerksamkeit weckte. Etwas wie Neugier. Ich kam nicht umhin, dem Roman eine faire Chance zu geben. Was hat Pierre Jarawan hier also abgeliefert? Ein ergreifendes, schmalziges Drama über eine Flüchtlingsfamilie, die verzweifelt versucht, das von Krieg geplagte Heimatland zu verlassen und einen Neuanfang in Europa zu suchen, oder eine Geschichte über Sehnsucht, Fernweh und Verlust? Diesen zarten Spagat zwischen Familiengeschichte und Selbstfindung, Flüchtlingskrise, Melancholie und die Beziehung zwischen Vätern und ihren Söhnen hat Pierre Jarawan in einem großen Roman meisterhaft untergebracht.

Die Geschichte von Samir, unserem Ich-Erzähler dieses Romans, beginnt in der Gegenwart in Beirut bei Nacht. Vor schmerzen krümmt sich Samir auf dem rauen, sandigen Boden und will seinen Peinigern noch etwas nachrufen, etwas wie: "Wir sind doch Brüder". Nach einem kurzen, rätselhaften Prolog springt die Geschichte jedoch zurück ins Jahr 1992. Samir ist circa 8 Jahre alt und genießt eine vermeintlich unbeschwerte Kindheit mit Familie und Freunden in Deutschland. Samir liebt seine Familie. Seine Mutter ist eine wichtige Stütze für ihn, auch um seine kleine Schwester, die noch ein Baby ist, umsorgt er als großer Bruder liebevoll. Mit Yasmin (wenige Jahre älter als Samir), Tochter des ebenfalls eingewanderten Hakim, gewinnt Samir sogar eine gute Freundin.
Es gibt jedoch eine Person, die liebt der junge Samir nicht nur, er verehrt sie auch. Seinen Vater Brahim. Für Samir ist sein Vater ein Vorbild. Der charismatische Mann hat eine Art an sich, andere Menschen in seinen Bann zu ziehen. Stets hilfsbereit und voller Tatendrang, ist Brahim in der Nachbarschaft ein geschätzter Mann und in seiner Familie das wichtige Rad, was das gesamte Konstrukt zusammenhält. Brahim ist außerdem ein begnadeter Geschichtenerzähler. Samir schaut zu seinem Vater auf. Dennoch fällt dem Jungen auf, dass sich sein Vater verändert. Dass in ihm eine Sehnsucht steckt, die tiefer sitzt als es die Familie erahnen könnte. Bis auf Samir scheint es keinem aufzufallen. Von Fernweh geplagt verändert sich Brahim. Der einst lebensfrohe Mann erhält mysteriöse Anrufe, die er mit Ausreden erklärt und lässt seine Familie immer häufiger alleine. Eines Abends, Brahim erzählt seinem Sohn noch einmal eine Gute-Nacht-Geschichte, scheint er seinen Abschied längst geplant zu haben. Denn am nächsten Morgen ist Samirs Vater verschwunden, spurlos. Er hinterlässt ein riesiges Loch, welches nie mehr gefüllt wurde. Samir wächst ohne seinen geliebten Vater auf. Nie hat er ihn vergessen, und rund 20 Jahre später, Samir ist mittlerweile zu einem stattlichen Mann herangewachsen, macht er sich auf in den Libanon, um das mysteriöse Verschwinden seines Vaters zu ergründen, nach Spuren und Antworten zu suchen, warum der wichtigste Mensch in seinem Leben ihn einfach verlassen hat.


"Ich glaube, alle Söhne lieben ihre Väter. Aber ich habe meinen verehrt. Weil er mich so oft teilhaben ließ an seinen beflügelten Gedanken. Weil er mich mitnahm in Wunderwelten, die er in seinem Kopf erschuf. Weil er mich berauschte mit seinen Worten. Es gab noch ein Versprechen, das er mir schon früh abnahm; nie meiner Mutter erzählen, wovon seine Geschichten handelten. >>Wenn sie herausbekommt, dass ich dir Geschichten von Männern erzähle, die sich bei Vollmond in Echsen verwandeln, kriege ich noch Ärger<<, hatte er augenzwinkernd gesagt. Natürlich nickte ich eifrig und versprach, unser Geheimnis zu bewahren."
(Aus: "Am Ende bleiben die Zedern", Pierre Jarawan, Berlin Verlag)


Bereits im ersten Teil der Geschichte geht Pierre Jarawan auf das besondere Verhältnis zwischen Samir und seinem Vater ein, der einfach der wichtigste Baustein in seinem Leben war. Ein Vater, zu dem man hinaufschauen kann, von lernen kann und der seine Familie über alles liebt. Aus mysteriösen, jedoch sich anbahnenden Gründen, verlässt dieser Mann, ohne persönliche Abschiedsworte zu hinterlassen, seine Familie für immer. Wohin hat es ihn verschlagen? Zurück in den Libanon? Jenem Land, welches er besungen hat, jenem Land, wovon er seinem Sohn Samir so wehmütig berichtet hat. Jedoch auch ein Land, geplagt von Krieg und einer ungewissen politischen Zukunft. Der junge Samir, hin und her gerissen, konnte auch über zwei Dekaden nach dem seltsamen Abschied seines Vaters dieses einschneidende Erlebnis nicht vergessen. Seine Reise in den Libanon macht ihm jedoch schnell klar, dass das Land, was einst sein Vater ihm beschrieben hat, nichts weiter als eine Bilderbuchbeschreibung war und er schnell die steinharte, sandige Realität kennen lernt.

Pierre Jarawan, Sohn eines libanesischen Vaters und einer deutschen Mutter, hegt einige Parallelen zu Samir aus dem Roman. Auch seine Familie ist vor dem Bürgerkrieg in der Heimat geflohen, auch sein Vater erzählte ihm phantasievolle Geschichten die ihn prägten. Diese Geschichten sollten ihn später einmal zu seinem Beruf inspirieren.

Ohne Kitsch und Schmalz, dafür aber mit einem gewandtem, sprachgewaltigem Stil fängt "Am Ende bleiben die Zedern" den Leser nahezu magisch ein. Besonders die phantasievollen Passagen um die Figur des Abu Youssef und seinem Dromedar Amir haben mir außerordentlich gut gefallen. Ähnliche Passagen, eine Geschichte in der Geschichte zu erzählen, hatten es mir in Haruki Murakamis 1Q84 bereits angetan, wo Protagonist Tengo über "Die Stadt der Katzen" berichtete. Ein ähnlicher Ort ist das Beirut, was sich Samirs Vater ausdachte. Ein Mix aus Realität und Phantasie. Ein Ort der Abenteuer und unbegrenzten Möglichkeiten. Ein Ort, in dem Dromedare auch mal sprechen können und sich in haarsträubende Abenteuer verwickeln.


Resümee

Mit überraschend wenig Politik kommt Pierre Jarawans Romandebüt "Am Ende bleiben die Zedern" aus. Dafür stehen Einzelschicksale im Mittelpunkt dieser Geschichte. Die Reise von Samir in ein Land, welches er nur aus den abenteuerlichen Gute-Nacht-Geschichten seines Vaters kannte, ist für mich ein beeindruckendes Stück deutsche Literatur. 
Wer lust auf eine großartig erzählte Geschichte hat, vermischt mit einem Hauch aktueller Zeitgeschichte und darüber hinaus noch mit einer Prise Phantasie garniert mit überraschend vielen Wendungen, bitte zugreifen. Pierre Jarawan hat bewiesen, dass er auch außerhalb der Bühne ein verdammt guter Erzähler ist.

Sonntag, 10. April 2016

Review: Crimson Peak



Trailer

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USA/Kanada 2015

Crimson Peak
Regie: Guillermo del Toro
Darsteller: Mia Wasikowska, Jessica Chastain, Tom Hiddleston, Charlie Hunnam, Doug Jones
Lauflänge: Circa 119 Minuten
Genre: Drama, Romantik, Mystery
FSK: Frei ab 16



Guillermo des Toro gehört ganz ohne Frage zu den wandlungsfähigsten und technisch hochbegabten Regisseuren der Neuzeit. Del Toros Werk ist nicht gänzlich unumstritten. Neben vielen beeindruckenden visuellen Effekten werden Del Toros Geschichten meistens geprägt von langen, ausgiebigen Dialogen und ernsten Hintergründen. So waren viele Kinogänger, die Pans Labyrinth damals gesehen haben, ernüchtert, dass sie keinen Fantasyfilm sahen sondern ein Drama über den spanischen Bürgerkrieg mit Fantasy-Elementen. Del Toro ist außerdem bekannt dafür, seine Fantasy mit der Realität zu verschmelzen. Seine Handschrift ist unverkennbar, selbst bei komplett auf Entertainment ausgelegten Filmen wie Pacific Rim.

Während Pacific Rim damals mit viel Lärm und Getöse in die Kinos kam, so kam Guillermo del Toros neuster Streich, Crimson Peak, beinahe unbemerkt in die Kinos. Ich muss ehrlich gestehen, von der Existenz des Filmes habe ich bis vor wenigen Wochen noch gar nichts gewusst!
Crimson Peak ist zwar ein Original von Del Toro, allerdings war es nicht sein Wunschprojekt. "Die Berge des Wahnsinns", eine von Lovecrafts bekanntesten Geschichten, wollte Del Toro adaptieren. Ein Wunschprojekt von ihm, worauf sich Universal letztendlich (noch) nicht eingelassen hat. Stattdessen wurde es dann Crimson Peak. Del Toro hat unzählige Varianten des Scripts für den Film konzipiert und es tatsächlich noch geschafft, sich eine Version davon auszusuchen. Ob diese Wahl aber die beste war, nun, ich bezweifle es.

Was Genau ist Crimson Peak denn? Ein Historienfilm? Ein Romantikfilm? Ein Gruselfilm oder vielleicht sogar alles zusammen? Crimson Peak beinhaltet wirklich all diese Genre, keines davon meistert er jedoch annehmbar. Die Geschichte spielt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die angehende Autorin Edith Cushing (gespielt von Mia Wasikowska und angelehnt ist der Name an Kult-Darsteller Peter Cushing) hat bereits früh ihre Mutter verloren. Vor 14 Jahren, als Ediths Mutter starb, erschien der kleinen Edith ihre Mutter als Geist. Der ruhelose Geist warnte das Mädchen vor einem Ort namens "Crimson Peak", kurz darauf verschwand die unheimliche Gestalt wieder. Rund 14 Jahre später ist Edith zu einer Frau herangewachsen und lebt gemeinsam mit ihrem wohlhabendem Vater im Anwesen der Familie. Der Bauunternehmer führt eine einflussreiche Firma und eines Tages stellt sich ein Mann aus England namens Thomas Sharpe (Tom Hiddleston) bei ihm vor, um Ediths Vater sein Projekt vorzustellen. Schnell wirft Edith ein Auge auf den seltsamen Mann und verliebt sich in ihn. Dies ist der Anbeginn einer düsteren Familiengeschichte und gleichzeitig die Geschichte von des Crimson Peak.

Die ersten 40 Minuten des Filmes gehen als Historienfilm und/oder Familiendrama durch. Wunderschön inszeniert und mit traumhaften Kulissen beweist Del Toro gemeinsam mit seinem Team einmal mehr, wieso er mittlerweile zu den meist gefragtesten Regisseuren gehört. Genau wie Pans Labyrinth, so dachte ich zumindest, baut die ruhige Geschichte auf eine umso interessantere Dramatik in der zweiten Hälfte auf. Genau wie bei Pans Labyrinth, was kein klassischer Fantasyfilm war, habe ich bei Crimson Peak auch keinen klassischen Gruselfilm erwartet. Und genau das ist der Film auch nicht. Vielmehr ist die zweite Hälfte des Filmes eine Detektivgeschichte. Alle klassischen Elemente sind vorhanden. Der Mord, eine undurchsichtige Familiengeschichte und einige Verdächtige. Jump Scares oder Schockeffekte wird man vergebens suchen, und der Grusel, den Del Toro hier anbietet, ist bestenfalls dazu geeignet, Grundschülern Angst einzujagen. Bereits hier wäre wesentlich mehr möglich gewesen. Ein riesiges, unheimliches Anwesen. Schaurige Gänge und feuchte Keller. Ein paar mal blitzt ein Anflug dieser unbehaglichen Stimmung auf, bevor das Geschehen recht schnell beendet wird.

Visuell gesehen ist Crimson Peak von einer besonderen Schönheit geprägt. Wie immer setzt Del Toro auf stimmige reale, handgemachte Sets mit spärlichem Einsatz von CGI. Crimson Peak schaltet circa fünf Gänge zurück im Vergleich zum sehr CGI überfüllten Pacific Rim (wobei, auch für Pacific Rim wurde eine menge echter Sets gebaut, den Fakt darf man nicht vergessen zu erwähnen). Prunkstück von Crimson Peak ist selbstverständlich das Anwesen der Sharpes. Leider musste das grandiose Set am Ende der Dreharbeiten gesprengt werden (sofern ich recht informiert bin). Der Gebrauch von CGI wurde hier sehr spärlich eingesetzt. Die Geister bestehen beispielsweise aus handgemachten Kostümen (wieder einmal steckt Doug Jones darunter), die jedoch ein wenig mit CGI Effekten aufgepeppt wurden. Dies fällt nicht negativ auf. Ich las häufig, wo manche Kritiker der Meinung waren, die Geister bestünden komplett aus CGI, was einfach nicht korrekt ist. Die Geister selbst tragen leider nur eine relativ unbedeutende Rolle, und somit ist auch ihre Screentime eher spärlich gehalten.

Schauspielerisch war ich ebenfalls überzeugt. Auch wenn man glatt meinen könnte, Mia Wasikowska erlebt hier ein neues Abenteuer im Wunderland (ist ja bald trotzdem wieder soweit). Jessica Chastain, über die ich in meinem Zero Dark Thirty Review noch so geflucht habe, spielt hier eine überzeugende Rolle (dunkle Haare stehen ihr überraschend gut), was nur ein weiteres Zugeständnis dafür ist, was für ein unsäglich schlechter Film Zero Dark Thirty doch war (das ist jedoch eine andere Geschichte). Besonders gut hat mir jedoch Tom "Loki" Hiddleston gefallen. Hiddleston war nur die zweite Wahl, für die Rolle sah Del Toro Benedict Cumberbatch vor, der hier genau so gut gepasst hätte aber aus zeitlichen Gründen abgesagt hat. Hiddleston hat jedoch das gewisse Etwas. Etwas charmantes und gleichzeitig schmieriges, etwas, was nicht zu durchschauen ist. Insgesamt eine sehr gelungene Darstellung von Tom Hiddleston.

Wir haben also ziemlich gute Effekte und eine beeindruckende Kulisse, eine Story mit Potential und überzeugende Darsteller. Was kann da also noch schiefgehen? In den Punkten wo Crimson Peak eine Augenweide ist, ist er erzählerisch so flach wie ein amerikanischer Pancake. Guillermo del Toro will so vielen Schriftstellern Tribut zollen, dass er vergessen hat, dass er eigentlich auch ein richtig guter Erzähler ist. An allem mangelt es Crimson Peak. Was noch vielversprechend beginnt, driftet ab in ein völlig vorhersehbares, dünnes Script ohne Überraschungen. Gute Geschichten müssen nicht immer komplex oder kompliziert verschachtelt sein. Es reicht Originalität und ein guter Showdown. Nichts davon findet man in Crimson Peak. Sowohl in The Devil's Backbone als auch in Pans Labyrinth hat Del Toro es geschafft, neben einer wahnsinnig guten Inszenierung eine anständige Geschichte zu präsentieren. Bei Crimson Peak hatte ich stets das Gefühl, er wärmt hier alte Geschichten auf und serviert uns dazu einige Klischees des Gothic-Horrors. All das ist insofern schade, da die Zutaten für einen spannenden Film alle vorhanden sind.


Fazit

Doyle, Shelly, Hoffman, Lovecraft und Poe. Meister der Literatur, Pioniere ihres Fachs. Sie werden namentlich in Crimson Peak genannt oder man erkennt schnell, welchem dieser Pioniere Guillermo del Toro gerade Tribut zollt. Bei all den großen Namen ist es relativ überraschend der Pionier Guillermo del Toro, dem hier kein Tribut gezollt wurde. Seine Handschrift ist zwar auch in Crimson Peak vorhanden, aber es fehlt einfach etwas. Die Ideenlosigkeit des Scripts ist es aber, die mir wirklich nach dem Abspann des Filmes zu schaffen machte. Alles läuft nach einem altbekannten Schema ab. Klischees und fehlende Höhepunkte prägten eine Geschichte, die durchaus potential hatte, auch über den Film hinaus noch nachhaltig zu wirken. Raum für Spekulationen und Theorien gibts so gut wie gar keine.

Was bleibt ist ein Fest für die Augen. All das spielt in der höchsten Liga. So wird man die einmalige Sichtung von Crimson Peak bestimmt nicht bereuen. Wer tatsächlich aber eine gute und spannende Geschichte erleben will, der sollte sich ein Buch der im Fazit genannten Damen und Herren zu Gemüte führen, denn die verstehen tatsächlich etwas von ihrem Handwerk.