Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Dienstag, 26. Mai 2015

Rezension: Death Parade



Trailer (Verfügbar leider nur in japanischer Sprache ohne Untertitel)




Japan 2015

Death Parade
Originaltitel: デス・パレード
Konzept und Regie: Yuzuru Tachikawa
Studio: Madhouse
Sprecher: Tomoaki Maeno, Asami Seto, Rumi Ookubo, Yoshimasa Hosoya, Kazuya Nakai, Mamoru Miyama
Opening Song: [Flyers] von BRADIO
Ending Song: [Last Theater] von NoisyCell
Episoden: 12
Genre: Anime, Mystery
FSK: Ungeprüft


In der Anime-Branche hat sich etwas verändert. Oder habe ich mich verändert? Diese Frage habe ich mir gestellt, bevor ich Death Parade gesehen habe. Ich bin mir nun ganz sicher, nicht ich bin es, der sich verändert hat, es ist eindeutig die Branche, die einen Umbruch erlebt hat. Fanservice und Ecchi gibt es in der Welt von Manga und Anime seit gefühlten Urzeiten und sind in Maßen durchaus stimmig oder gar geschickt in die Geschichte eingebunden.
Doch ein Aufziehvogel ist überfordert wenn ihm Begriffe wie MoeHarem oder Reverse Harem um die Ohren fliegen. Und manche Serien mehr Damenunterwäsche als Inhalt bieten, muss ich mich unweigerlich fragen, ob der aktuelle Anime-Trend überhaupt noch etwas für mich ist. Beispielsweise hat Highschool of the Dead (sowohl Manga als auch Anime) viel Potential zu einer gelungenen Zombie-Serie, welches durch übermäßigen Gebrauch von Fanservice am laufenden Bande jedoch verschwendet wird. Serien wie Lynn Okamotos "Brynhildr in the Darkness (Gokukoku no Brynhildr)" haben aber bewiesen, auch gut gewählte Ecchi/Harem Elemente können durchaus unterhaltsam umgesetzt werden. Und trotzdem gibt es auch Serien, die sich aktuell dem Trend widersetzen. Sowohl Attack on Titan, Tokyo Ghoul sowie auch Parasyte tendieren alle durchaus zu einer ernsten und düsteren Seite. Und genau in diese Kerbe schlägt auch Death Parade.




Auch wenn das genial stimmungsvolle Disco-Opening [Flyers] der japanischen Band BRadio vermuten lässt, hier handle es sich um eine genau so freudige und entspannte Serie, der wird auf eine falsche Fährte geführt. Denn wenn Death Parade erst einmal richtig los legt (und das wird  bereits schonungslos in Episode 1 demonstriert), werden die Zuschauer in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele entführt. Das Konzept hinter Death Parade ist durchaus einfach zu verstehen. Zwei Menschen (ob verwandt, verheiratet oder völlig fremd) werden per Aufzug in die Bar Quindecim befördert. Sie erinnern sich nur an Bruchstücke aus ihrer Vergangenheit und haben keine Ahnung davon, wie sie in diese Bar gelangt sind. Lediglich der schweigsame Barkeeper Decim begrüßt das gerade eingetroffene Paar. Nach einem kleinen Drink bittet Decim die beiden, an einem Spiel teilzunehmen. Weigern sie sich, würde dies weitreichende Folgen für sie haben. Eingeschüchtert aufgrund der ungewissen Konsequenzen, die ihnen blühen, lassen sich die Teilnehmer auf das Spiel ein. Während des jeweiligen Spiels (von Darts bis Bowling ist alles dabei, allerdings alle versehen mit einem interessanten Twist) gelangen sie immer ein wenig mehr von den Erinnerungen zurück, die sie anscheinend verloren haben. Und am Ende ist es Decim der entscheiden muss, was mit dem Gewinner und dem Verlierer passiert.

Das Konzept basiert auf einen Kurzfilm von Regisseur Yuzuru Tachikawa. Jener Kurzfilm "Death Billiards" hat mit knapp 24 Minuten Laufzeit die gleiche Lauflänge einer gewöhnlichen Anime-Episode und gehörte zum Young Animator Training Project in der Ausgabe 2013. Eingereicht wurde das ungewöhnliche Projekt von dem Kultstudio Madhouse (u.a. Death Note) welches auch später die komplette Serie produzierte. Chronologisch kann man den Kurzfilm "Death Billiards" am besten innerhalb der ersten 5 Episoden unterbringen.
Bis auf eine Ausnahme ist die Handlung jeder Episode bereits in den genannten 24 Minuten abgeschlossen. Dennoch geht die Serie tatsächlich auch noch einer Haupthandlung nach. Somit wechseln sich die Episoden ab zwischen den Spielen, wo zwei Protagonisten gegeneinander antreten müssen um ihre schmerzhaften Erinnerungen zurückzuerlangen und den Ereignissen rund um die geheimnisvolle Frau (Kurokami no onna) und den Mitarbeitern des Quindecim. Gekrönt wird das meist melancholische sowie traurige Ende einer jeden Episode durch den Song [Last Theater] der japanischen Band Noisy Cell, die hier mit einem überraschend solidem Englisch überzeugen können (was für japanische Künstler alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist). Beinahe jede Episode beschäftigte mich auch nach dem Abspann noch für einige Zeit. Das perfekte Zusammenspiel der einmal mehr außergewöhnlich guten japanischen Synchronsprecher, die flüssigen, detailreichen Animationen von Madhouse und grandioser Musik machen Death Parade zu einem Highlight auf mehreren Ebenen.

Bis zum sehr emotionalem Finale ist jede einzelne Episode bestens ausgearbeitet. Ganz besonders Barkeeper Decim macht in den 12 Episoden eine unglaubliche Entwicklung durch. Die Haupthandlung rund um Kurokami no onna (ihren wahren Namen erfährt man zum Ende hin) wird zufriedenstellend abgeschlossen. Diese Tatsache hat man unter anderem der fehlenden Vorlage zu verdanken. Death Parade basiert weder auf einem Manga noch einer Light-Novel. Es ist immer wieder ein prägnanter Regiestil von Yuzuru Tachikawa zu erkennen, der hoffentlich schon bald die Chance für ein komplett neues Projekt erhalten wird. Ebenfalls noch erwähnenswert: Für das Ending, was meistens am Ende jeder Episode eingespielt wird sofern die Story nicht dort in Bildern noch ein wenig fortgeführt wird, stammt von Cowboy Bebop, Samurai Champloo und Zankyou no Terror Mastermind Shinichiro Watanabe (dieses Jahr auf der kommenden AnimagiC in Bonn als Ehrengast vertreten).





Resümee

Mit Death Parade hat Madhouse (zusammen mit Parasyte) einen weiteren hochwertigen Vertreter der modernen Anime-Kunst ins Rennen geschickt. Und das originelle Konzept darf gerne zum nachmachen anstiften. Erst vor wenigen Tagen hat Evangelion Schöpfer Hideaki Anno erneut die Stagnation in der Anime-Industrie kritisiert. Annos Kommentar liest sich etwas dramatischer als er es eigentlich meinte, unrecht hat er jedoch nicht. Durch die ganzen halbgaren Manga und Light Novel Verwurstungen konnten sich nur wenige Anime in der vergangenen Zeit als wirklich komplett oder gelungen bezeichnen (weil die meisten Werke, auf die sie basieren, noch längst nicht fertiggestellt sind).
In nur 12 Episoden schafft es Death Parade hingegen den Zuschauer mit starken Emotionen und einem kompletten Ende zu entlassen. Eine Serie, die förmlich danach fleht, nicht fortgesetzt zu werden (auch wenn ich eine abschließende OVA sogar noch begrüßen würde).

In Deutschland exisitert noch keine Lizenzierung zu Death Parade. Legal und kostenlos via Vide-on-Demand kann man Death Parade aktuell über Funimations Streaming-Plattform schauen. Allerdings ist dies nur möglich, wenn man über eine amerikanische IP-Adresse verfügt. Aber dafür ist mein Blog letztendlich nicht zuständig ;)

Donnerstag, 7. Mai 2015

Rezension: Die Legende der Prinzessin Kaguya

(Poster: Universum)


Trailer




Japan 2013

Die Legende der Prinzessin Kaguya
Originaltitel: Kaguya-hime no Monogatari
Vorlage: Taketori Monogatari
Idee und Regie: Isao Takahata
Musik: Joe Hisaishi
Sprecher (Japanische Besetzung): Aki Asakura, Kengo Kora, Takeo Chii, Nobuko Miyamoto
Sprecher (Deutsche Besetzung): Sarah Alles, Nico Sablik, Denise Gorzelanny, Uli Krohm, Kornelia Boje, Gerrit Schmidt-Foss
Lauflänge: Circa 137 Minuten
Genre: Anime, Fantasy, Märchen
FSK: Ohne Altersbeschränkung


Hayao Miyazaki und Isao Takahata. Zwei Legenden. Zwei alte Männer. Zwei alte Männer, die jeweils auf ihre weise über das Thema "Abschied" einen Film gemacht haben. Und ein bisschen kommt es mir so vor, als hätten die beiden die Rollen vertauscht. Miyazakis "Wie der Wind sich hebt" könnte vom Stil her eher ein Werk von Takahata sein, während Takahatas "Die Legende der Prinzessin Kaguya" aufgrund seiner bezaubernden, verspielten Bilder eher ein waschechtes Miyazaki Werk sein könnte. Bereits nach wenigen Sekunden wird aber dann klar, "Die Legende der Prinzessin Kaguya" ist ein waschechter Film von Isao Takahata. Denn Takahata ist mindestens ein genau so talentierter Magier wie Hayao Miyazaki, schaut man sich "Pom Poko" mal genauer an.

Die Zukunft des Studio Ghibli scheint auch weiterhin ungewiss zu sein. Hayao Miyazaki kündigte unlängst seinen Rücktritt an (wieder einmal, doch diesmal, so scheint es, endgültig) und es ist relativ unwahrscheinlich, dass der mittlerweile 79 jährige Takahata noch einmal einen so groß angelegten Film kreieren wird. Ganze 8 Jahre verschlang Kaguya an Zeit, die der Film bis zu seiner Fertigstellung benötigte. Und billig war der Film aufgrund der aufwendigen Zeichnungen und vielen Verschiebungen auch nicht. "Die Legende der Prinzessin Kaguya" hat dem Studio Ghibli viel Geld gekostet. Die Produktionskosten wurden aber diesmal aufgeteilt, somit ist das Studio Ghibli nicht der alleinige Geldgeber und Takahata agierte hier wesentlich unabhängiger von Ghibli als sonst. Und dennoch prangert das Ghibli-Logo über Prinzessin Kaguya. Die genaue Aufteilung der Rechte dürfte hier aber zweitrangig sein. Die Leute wollen ein Ghibli Komplettpaket, und genau dieses bekommen sie in diesem wunderschönen Film auch geboten.


(Copyright: Studio Ghibli)


Die Frage, die ich mir stellen musste: Kann Isao Takahata noch ein letztes Kunststück aus seinem Hut zaubern? Takahata bestritt als Gründungsmitglied des Studio Ghibli einen eher ungewohnten Weg. Er ist Filmemacher und Drehbuchschreiber, aber kein Animator. So unglaublich es klingen mag, laut eigenen Aussagen bekommt Isao Takahata keine einzige Figur auf ein Blatt Papier gezeichnet (seine Storyboards bestätigen aber, in diesem Punkt war er nicht ganz ehrlich). Mit Werken wie "Die letzten Glühwürmchen", "Only Yesterday", "Pom Poko" und "Meine Nachbarn die Yamadas" hat mich Takahata verzaubert und gleichzeitig in endlose Melancholie und Traurigkeit entlassen. Sein Stil unterscheidet sich drastisch von Miyazakis. In Takahatas Filmen sucht man meistens vergeblich nach einem glücklichen Ende für seine Protagonisten. Stilistisch gibt es da auch bei Prinzessin Kaguya keinen Bruch. Sowohl vom Zeichenstil als auch von der Erzählweise setzt Takahata hier noch einmal neue Maßstäbe in einer Gattung, die stark vom Aussterben bedroht ist. Die Zeit für handgemachte Animationsfilme scheint endgültig vorüber zu sein, Miyazaki selbst resignierte in einem Interview, welches er vor nicht all zu langer Zeit führte. "Die Legende der Prinzessin Kaguya" könnte mit seinem aufwendigem Stil, der an das Rotoskopie-Verfahren erinnert, einer der letzten seiner Zunft sein.

Die Geschichte rund um die mysteriöse Prinzessin Kaguya, die eigentlich ein ganz normales Mädchen ist und ein bürgerliches Leben führen will, basiert auf einer alten japanischen Volkssage. "Die Geschichte vom Bambussammler (Taketori Monogatari)" stand Pate für Takahatas Vision. Dank vieler antiker Holzschnitte die zu der Geschichte im laufe der Jahre entstanden sind, war es für die Animatoren einfacher einen unverkennbaren Stil zu entwickeln, da bereits schöne Bilder zu der alten Geschichte existieren.


(Eine alte Malerei zu "Die Geschichte vom Bambussammler")


Gespickt wird der bereits surreale Zeichenstil durch eine genau so surreale Szenerie. Oftmals driftet der Film in eine Traumwelt ab, ohne das der Zuschauer es bemerkt. Bei einer Lauflänge von rund 137 Minuten fühlte ich mich nicht einmal verloren oder gelangweilt in dem dichten Gestrüpp der Erzählung. Wie immer vermischt Takahata märchenhafte Szenen mit lustigen und teilweise auch sehr wehmütigen Momenten. Seine Magie entfaltet der Film bereits zu Beginn. Obwohl ich nach mehreren Trailern immer dachte, der Film wird vermutlich schwer zugänglich sein, so wurde ich überrascht, dass mich bereits die ersten Minuten vollkommen für sich einnahmen. Wesentlich mehr Probleme hatte ich da bei meinem ersten Anlauf mit Miyazakis Abschlusswerk "Wie der Wind sich hebt".

Erstmals komponierte Ghibli-Altmeister Joe Hisaishi den Soundtrack zu einem Film von Isao Takahata. Auffallend ist dabei der beinahe völlige Verzicht auf orchestrale Musikstücke. Diese würden auch selbstverständlich zu Prinzessin Kaguya nicht wirklich passen. Stattdessen gibt es viele ruhige Stücke, die perfekt mit der Atmosphäre des Filmes harmonieren. Mit dem Titelsong "Inochi no Kioku (Memories of Life)" klingt der Film noch einmal brillant aus. Isao Takahata wählte diesen durchaus optimistischen Song mit Bedacht, da das Ende des Filmes das komplette Gegenteil darstellt und die Zuschauer nicht mit einem traurigen Song heim schicken wollte.

Zur Vertonung muss ich sagen, zu meiner Schande kam ich noch nicht dazu, mir die original japanische Tonspur anzuhören. Traditionell schaue ich Ghibli-Filme zu immer erst in deutscher Sprache. Und wie immer hat Universum hier fantastische Arbeit geleistet. Besonders Sarah Alles als Kaguya hat mir unglaublich gut gefallen. Die deutsche Vertonung war einer Kino-Auswertung würdig. Eine traurige Mitteilung gibt es auf Seiten der japanischen Tonspur. Noch bevor der Film fertiggestellt war, verstarb im Jahr 2012 der in Japan sehr beliebte Takeo Chii (er sprach den alten Mann) im Alter von 70 Jahren. Durch "Prerecording" (die Sprecher sprechen ihre Dialoge ein, ohne Bilder zu sehen) wurden alle Dialoge in der japanischen Sprachfassung bereits vorab aufgenommen.


Resümee

Zwei große Männer verabschieden sich auf ganz unterschiedliche weise von der großen Bühne. Und ich muss gestehen, erneut konnte mich Isao Takahata ein wenig mehr begeistern als es Hayao Miyazaki tat. Dies mag an Takahatas eigenwilligen Stil liegen. Da Takahata nicht die Animationen übernimmt, bleibt ihm dadurch wesentlich mehr Zeit für Dramaturgie und Planung als es bei Miyazaki der Fall ist, der in Sachen Animation so ziemlich alles selbst übernimmt. Und vielleicht ist es dieser kleine Aspekt, weshalb ich Takahatas Filme stets als etwas kompletter ansehe. Einen direkten Vergleich würde ich mich niemals wagen und wäre eigentlich beiden Filmemachern respektlos gegenüber.

"Die Legende der Prinzessin Kaguya" könnte tatsächlich der letzte große Kinofilm des Studio Ghibli gewesen sein. Sollte dem wirklich so sein, dann hat sich das Studio mit einem großen Film verabschiedet. Takahatas beeindruckende Filmografie wird vermutlich immer von Miyazakis Schaffen überschattet werden, dies ändert aber nichts daran, dass Isao Takahata zu den größten noch lebenden Großmeistern des Zeichentricks gehört. Und das ist ja auch relativ beeindruckend für einen Mann, der den Zeichenstift noch nie selbst in die Hand genommen hat.

Wer sich dieses Spektakel nicht entgehen lassen will besorgt sich am besten eine leicht gekühlte Flasche Wein seiner Wahl, schaltet sämtliche Licht- und Geräuschquellen aus und genießt die Geschichte rund um die bezaubernde Prinzessin Kaguya. Und dann kann man selbst entscheiden, ob dieses Meisterwerk der Zeichenkunst nicht mehr verdient gehabt hätte, als lediglich eine Nominierung bei der 87ten Verleihung der Academy Awards.

Dienstag, 5. Mai 2015

Rezension: Traumlieder 2 (George R. R. Martin)







USA 2003

Traumlieder II
Autor: George R. R. Martin
Originaltitel: Dreamsongs Volume 1/2
Erscheinungsjahr in Deutschland: 09. Februar 2015 beim Heyne Verlag
Übersetzung: Maike Hallmann, Lore Straßl, Susanne Grixa, Rainer Gladys, Eva Bauche-Eppers, Michael Windgassen, Jürgen Langowski, Hannelore Hofmann, Joachim Körber, Michael Fehrenschild, Berit Neumann
Genre: Kurzgeschichten, High Fantasy, Dark Fantasy, Horror, Science-Fiction


Fand sie ihn schließlich, ihren Liebsten mit den feurigen Augen? Oder sucht sie ihn noch heute? Auf welchen Wächter wird sie als Nächstes stoßen?
Wenn sie nachts als Fremde in einem einsamen Land dahinwandert, hat der Himmel Sterne?
Ich weiß es nicht. Er weiß es nicht. Vielleicht wissen nicht einmal die Sieben es. Sie sind mächtig, ja, aber nicht allmächtig, und die Zahl der Welten ist größer, als selbst ihnen bewusst ist.
Es gibt ein Mädchen, das zwischen den Welten wandelt, doch sein Weg ist jetzt in der Legende verloren. Vielleicht ist sie tot, vielleicht auch nicht. Neuigkeiten verbreiten sich langsam von Welt zu Welt, und nicht alles entspricht der Wahrheit.
Eines aber wissen wir: In einer leeren Burg unter einer purpurnen Sonne wartet ein einsamer Minnesänger, und seine Lieder erzählen von ihr. - Aus: "Die einsamen Lieder Laren Dorrs"


In drei prall gefüllten Sammelbänden bringt der Heyne Verlag George R. R. Martins beeindruckende Kurzgeschichten und Erzählungen. Ja, beinahe lesen sie sich wie Märchen. Aber bei einem genaueren Blick erkennen wir die wahre Gestalt dieser Märchen; George R. R. Martins "Traumlieder" sind bitterböse, melancholische Songs aus fremden Welten. Martin ist ein begnadeter Komponist und verfasste Geschichten, keine wie die andere. Traumlieder II ist ein sehr langer Longplayer, und jede einzelne Single war ein Highlight für sich.

Man könnte meinen, durch all den Hype rund um "Das Lied von Eis und Feuer" aka "Game of Thrones" könnte eine Übersättigung entstanden sein. Ein gewisser Verschleiß der sich immer breit macht, wenn eine langjährige Saga auf einmal ungeahnte Erfolge feiert, und die ganze Welt über die Geschehnisse dieser Saga redet. Und auch ich dachte, der Verschleiß rund um Game of Thrones würde nicht lange auf sich warten lassen. Nun näher die TV-Serie sich ganz langsam ihrem Höhepunkt während Martins Fans der gedruckten Worte noch viele Jahre auf das Ende der Saga warten müssen. Der große Zampano lässt sich halt Zeit, und diese sei ihm mehr als vergönnt. Denn dies gibt den Lesern die Zeit, sich durch Martins weitere große Werke zu lesen. Wir verfolgten Haviland Tufs Abenteuer im Weltraum oder schwangen uns auf den Rücken eines Eisdrachen. Das Ziel der Reise war stets unbekannt und unsere Reisegefährten hätten zwielichtiger nicht sein können. Das Universum von George R. R. Martin scheint unbegrenzt zu sein. Eine neue Welt wartet in jeder einzelnen Geschichte.
Ob als Autor, Herausgeber oder Produzent; George R. R. Martin kam zu einem späten Ruhm, und er hat nun sämtliches Recht darauf, diesen auszukosten. 

Auf über 600 Seiten ist im zweiten Band der Traumlieder eine Sammlung verschiedenster Geschichten enthalten. Allerdings haben wir es hier nicht mit einem wirren Sammelsurium an Resteverwertung zu tun. Martin präsentiert seine Sammlung in genau 3 Abschnitten: "Die Erben der Schildkrötenburg", "Hybride und Horror" und "Eine Kostprobe von Tuf". Jede dieser Kategorien ist mit Kurzgeschichten unterschiedlichster Genre (der Schwerpunkt bleibt aber beim Fantasy) ausgestattet. Und, richtig gelesen, sogar ein Wiedersehen mit unserem Planetenwanderer Haviland Tuf gibt es. Versehen ist jeder Abschnitt im Buch mit persönlichen Worten des Autors, die mindestens genau so unterhaltsam gestaltet sind wie die Geschichten selbst. Man bekommt einen interessanten Einblick in Martins Welt. Sympathisch und mit viel Witz hat der Altmeister diese Abschnitte verfasst, ohne dabei zu autobiografisch zu werden.

Nun möchte ich in dieser Rezension gewiss nicht auf alle Geschichte eingehen und ich verspreche, diesmal werde ich mich kürzer fassen. Das Prunkstück der Anthologie liegt ganz klar bei "Die Erben der Schildkrötenburg". Der Abschnitt umfasst 3 Frühwerke von Martin. Folgende Kurzgeschichten sind enthalten: "Die einsamen Lieder des Laren Dorrs", "Der Eisdrache" und "Das verlassene Land". Alle drei Geschichten könnten sich thematisch nicht mehr von der jeweils anderen unterscheiden, und doch ist der unverkennbare Stil von Martin stets präsent. Ungewohnt ruhig und melancholisch geht es in der Geschichte rund um die Weltenwanderin Sharra zu, die Laren Dorr trifft, einen geheimnisvollen Minnesänger der alleine und gefangen in seiner eigenen Welt zu leben scheint. Der Eisdrache ist ein düsteres Märchen für Erwachsene, welches in einem Westeros spielen könnte, als Drachen noch durch die Lüfte ritten. Die Geschichte rund um das verlassene Land ist ein Hybrid beider zuvor genannten Geschichten mit einem geschickten Twist zum Ende der Geschichte. Alle Geschichten haben jedoch eines gemeinsam: Sie alle lesen sich wie der Auftakt zu einer großen Saga. Sie sind jedoch Unikate, abgeschlossene Werke. Und dennoch lassen sie den Leser mit vielen Geheimnissen zurück.


Resümee

Traumlieder II macht den Leser, genau wie die schöne Sharra, zu Weltenwanderern. Wir wissen nicht, was uns in der nächsten Geschichte erwartet. Zwischen Fantasy, Horror und Science-Fiction bewegen wir uns durch eine fremde Galaxie. George R. R. Martin beweist sich erneut als begnadeter Erzähler und bietet fernab von Königsmördern, einer riesigen Mauer aus Eis oder royalen Intrigen eine einzigartige Welt. Schnell zieht der Autor den Leser in seinen Bann. Bereits nach dem Impressum haben Martins Traumlieder mich verzaubert.

Abschließen möchte ich die Rezension mit einem Zitat von George R. R. Martin, welches gleich zu Beginn des Buches vorkommt und mich sehr beeindruckt hat:

„Die Wirklichkeit, das sind die Einkaufszentren von Burbank, die Schornsteine von Cleveland, eine Parkgarage in Newark. Fantasy besteht aus den Türmen von Minas Tirith, den uralten Mauern von Gormenghast, den Sälen von Camelot. Die Fantasy fliegt auf Ikarus' Schwingen, die Wirklichkeit mit Lufthansa. Warum schrumpfen unsere Träume so sehr zusammen, wenn sie Wirklichkeit werden?“

Schöner kann die Magie der Bücher wohl nicht mehr beschrieben werden.