Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Freitag, 6. März 2015

Rezension: Die Zeit nach Mitternacht



Trailer




USA 1985

Die Zeit nach Mitternacht
Originaltitel: After Hours
Regie: Martin Scorsese
Darsteller: Griffin Dunne, Rosanna Arquette, Verna Bloom, Cheech Marin, Tommy Chong
Lauflänge: Circa 97 Minuten
Genre: Schwarze Komödie
FSK: 12


Im Jahr 1985 hat man noch keine "Rezis" geschrieben, sondern "Rezensionen". Und sehr wahrscheinlich wurden diese Rezensionen auch noch abgedruckt! Unsere heutige Fastfood Generation hat es da mit Smartphones und Tablets als Informationsquelle einfacher (nicht abwertend gemeint, ohne diese Gerätschaften gäbe es wohl auch keine große Relevanz für Blogs). 
Echte Handarbeit ist rar geworden und auch alte Haudegen wie Martin Scorsese müssen sich jener Fastfood Generation anpassen. Darunter Leute, die für alles eine Abkürzung benutzen und Selfies auf versifften Toiletten machen. So ist es auch irgendwie wenig überraschend, dass Scorsese 2013 mit "The Wolf of Wall Street" eben einen solchen Film für diese Generation gedreht hat. Auch wenn ich grundsätzlich keinen Scorsese Film jemals ablehnen würde, in meine Top 5 würde die völlig überdrehte Koks und Sex Orgie um den gescheiterten Ex Stock-Broker Jordan Belfort nicht landen.

Doch Martin Scorseses Filmografie ist umfangreich. Umso trauriger ist es, viele Fans fixieren sich alleine auf seine Gangster- und Unterwelt-Dramen wie "Good Fellas", "Casino" oder aber auch "The Departed" (es soll auch jene Leute geben, die seinen Namen nur mit "Taxi Driver" in Verbindung bringen). Aber dann gibt es da auch noch die großen Werke, die vielleicht etwas in den Hintergrund geraten sind. "Kap der Angst", "Aviator" oder "Shutter Island". All diese drei Filme unterscheiden sich erheblich voneinander und beweisen, wie Wandlungsfähig ein Scorsese Film sein kann.

Genau wie die Absätze dieses Textes, geht es aber auch tiefer in Scorseses Welt. Denn es existiert da tatsächlich noch ein kleiner Edelstein, bei all den großen Kalibern an Goldbarren. Die Rede ist von einem beinahe schon ins Abseits geratenen Filmes aus Scorseses großartiger Filmografie. Ein Film, ohne Beteiligung von De Niro oder Di Caprio. Ein Film ohne HD Neuauflage und ohne Smartphones. "Die Zeit nach Mitternacht" oder, ein wenig stilvoller im Original, "After Hours", ist Martin Scorseses vergessener Film. Ein Film mit typischen Scorsese Elementen und doch ist er so angenehm fremdartig. Eine Schwarze Komödie die einer griechischen Tragödie gleichkommt. Was rede ich da, die Odyssee von Paul Hackett durch ein SoHo nach Mitternacht ist dramatischer als die komplette Ilias von Homer.

Die Geschichte dreht sich um den Programmierer Paul Hackett (Griffin Dunne). Der Prototyp Charakter zu extrem bekannten Figuren wie die des Ted Mosby aus "How I Met Your Mother". Ein ganz gewöhnlicher New Yorker angestellter, langweilig, Single und ein wenig einsam. An einem späten Abend in einem Cafe kommt Paul durch einen Zufall mit einer interessanten Frau ins Gespräch. Marcy (Rosanna Arquette), so der Name dieser schönen Blondine und Paul haben ähnliche Interessen und die beiden kommen schnell auf einen Nenner. Marcy überreicht Paul  die Telefonnummer einer Freundin, bei der sie die Nacht verbringen wird. Nur kurze Zeit später tätigt Paul bei sich daheim den Anruf und verabredet sich mit Marcy. Der Treffpunkt findet bei Kiki statt, eine Bildhauerin die inmitten des Szeneviertels SoHo wohnt. Euphorisch schwingt sich Paul in ein Taxi und mit der ersten Panne, dem Verlust seines einzigen Geldscheins, beginnt für ihn die (alptraumhafte) Zeit nach Mitternacht.

Im Kern ist "Die Zeit nach Mitternacht" eine extrem schräge Komödie. Ausgiebige Dialoge wie bei Scorsese üblich gibts in Hülle und Fülle. Es wird am laufendem Bande gute Musik gespielt (darunter ein Original Score von Howard Shore) und die fantastischen Darsteller runden dieses einzigartige Filmerlebnis ab (erwähnenswert wäre da auch noch der sehr amüsante Auftritt von Cheech Marin und Tommy Chong, die einmal mehr als Duo unterwegs sind). Besonders Griffin Dunne als moderner Odysseus der verzweifelt einen Weg nach Hause sucht liefert eine herrliche Darbietung ab. Bei einer extrem schlanken Laufzeit von knapp 97 Minuten ist keine einzige davon verschwendet (für Scorsese Verhältnisse eigentlich schon ein Kurzfilm). Etwas, was mir jedoch aufgefallen ist, im Endspurt verliert der Film vielleicht etwas zu sehr den roten Faden. Damit meine ich die verrückten Wendungen, die rund um Paul stattfinden. Allerdings unterstreicht besonders das Ende des Filmes sehr gut den "Wahnsinn", den Paul in dieser Nacht erlebt. Wenn man, bevor man den Film schaut, nicht unbedingt den Name des Regisseurs irgendwo aufgreift (oder ihn nicht kennt), könnte nämlich zu Beginn auf die falsche Fährte gelockt werden, es handle sich bei diesem Film um eine generische romantische Komödie (eine sogenannte Rom Com). Nach spätestens einer halben Stunde wird der Zuschauer jedoch eines besseren belehrt werden.


Resümee

"Die Zeit nach Mitternacht" ist die art Film, zu der Martin Scorsese wohl nie wieder zurückkehren wird. Trotz all der verrückten Ideen ist der Film wesentlich bodenständiger als beispielsweise "The Wolf of Wall Street". Manchmal ist etwas weniger eben dennoch mehr. 
Die DVD von "After Hours" ist in Deutschland mittlerweile unlängst Out of Print und ein HD-Master scheint es weltweit (noch) nicht zu geben. Ob es dieses überhaupt jemals geben wird, ist an sich fraglich. Schade ist diese stiefmütterliche Behandlung alle male. Aber Sergio Leones "Todesmelodie" hat im letzten Jahr bewiesen, selbst die vermeintlich ungeliebten Kinder schaffen es irgendwann noch einmal auf Blu-ray.

Wer die Chance hat, sich "Die Zeit nach Mitternacht" ansehen zu können, sollte diese als Filmliebhaber nicht verstreichen lassen. Ab und an läuft der Film noch als Klassiker im Pay-TV. Aber auch jede halbwegs gut sortierte Videothek sollte den Film führen. Aber hier sind wir ja wieder beim Generationswechsel angekommen. Natürlich nur, sofern der Inhaber noch nicht das altertümliche Medium, die DVD, auf den Müll geworfen hat.

1 Kommentar: