Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Donnerstag, 27. November 2014

Rezension: Die Geschichte vom Prinzen Genji





Damit keine Verwirrung aufkommt, hier eine kleine Anmerkung: In der Rezension wechsle ich häufig zwischen dem deutschen Titel „Die Geschichte vom Prinzen Genji“ und dem Originaltitel „Genji Monogatari“. Selbstverständlich handelt es sich hier um das gleiche Buch ;)


Japan Circa 1021

Die Geschichte vom Prinzen Genji
Autorin: Murasaki Shikibu
Originaltitel: Genji Monogatari
Erscheinungsjahr: Wiederveröffentlichung beim Manesse Verlag, 06. Oktober 2014
Übersetzung und Vorwort: Oscar Benl
Genre: Psychologischer Roman, Drama, Romantik


"Er trug sie auf den Armen sanft und leise über die Schwelle und verschloß die Innentür. In ihrer Bestürzung über sein unerhörtes Tun wirkte sie unbeschreiblich lieb und betörend.
<<Hier sind doch Dinerinnen!>>, mahnte sie zitternd, aber er erwiderte:
<<Ich darf hier überall sein. Es nützt nichts, wenn ihr Leute herbeiruft! Seid ganz still.>>
Jetzt erkannte sie an seiner Stimme, daß es Genji war, und dies beruhigte sie etwas. Sie fühlte sich noch immer tief verwirrt, doch schon entschlossen, sich nicht allzu herzlos und trotzig zu erweisen. Genji war vom Wein berauscht und hätte es zu schade gefunden, sie gleich wieder fortzulassen. Außerdem war sie jung und sanft und verstand es nicht, sich viel zu sträuben."
(Die Geschichte vom Prinzen Genji, Murasaki Shikibu in einer Übersetzung von Oscar Benl, Manesse Verlag)


Mit Dinosauriern hatte ich es auf meinem Blog bisher noch nicht zu tun. Schon gar nicht mit einer Autorin, die seit über 1000 Jahren nicht mehr unter den Lebenden weilt und von der es als Portraits lediglich Zeichnungen und Malereien gibt. Nichtsdestotrotz hatte ich es in den vergangenen zwei Monaten mit dem wohl bedeutendsten, wie auch bekanntesten Werk der japanischen Literatur zu tun. In 54 Kapiteln, aufgeteilt auf beinahe 2000 Seiten erzählt die Hofdame Murasaki Shikibu die Geschichte vom Prinzen Genji, besser bekannt als Genji Monogatari. Lange in seiner ungekürzten Originalfassung vergriffen, legte der Manesse Verlag die deutsche Übersetzung von Oscar Benl in diesem Jahr neu auf und kann sich zurecht damit brüsken, die einzige ungekürzte und originalgetreuste Übersetzung des Epos in Deutschland zu sein.

Unterteilt ist die Geschichte in mehrere Abschnitte. So beginnt Genji Monogatari bei der Geburt des Protagonisten und begleitet ihn bis zu seinem Tode und darüber hinaus. Schon von Geburt an hatte das Leben des kleinen Genji etwas verbotenes. Entstand er aus der Romanze zwischen dem Kaiser und einer Hofdame von einem eher niedrigem Range. Dem Kaiser war sie aber am liebsten und trotz der Missgunst seiner anderen Frauen verspürte er eine Sehnsucht nach dieser einen Hofdame, die er so sehr verehrte. Doch sie war schwach und kränklich und verstirbt kurz nach Genjis Geburt. Am Boden zerstört möchte sein Vater das Kind zu sich nehmen, da es allerdings nicht sein Erstgeborener Sohn ist und aus einem komplizierten Verhältnis stammt, ist es nicht so einfach, den Jungen zu sich zu holen. Die Jahre vergehen und Genji wächst zu einem stattlichen jungen Mann heran und ist gleichzeitig beliebt am Hofe und bei den Frauen. Die Liebe lernt der junge Prinz schnell kennen, doch genau so schnell auch den Schmerz der damit verbunden sein kann. Dieser treibt ihn sogar bis ins Exil. Für Genji beginnt eine psychologische Reise durch das Japan der Heian-Zeit.

In einer Besprechung ist es beinahe unmöglich diesen extrem umfangreichen und komplexen Roman zusammenzufassen, und eine informative Inhaltsangabe zu kreieren. Allerdings habe ich es mir auch nicht vorgenommen, dieses gigantische Werk zu analysieren, da gibt es nämlich nicht nur kompetentere Leute als mich im Netz, sondern auch richtige Profis. Dennoch möchte ich, so gut es geht, den Lesern meines Blogs dieses Werk so nahe wie möglich bringen.
Was auf den ersten Blick klingt wie eine klassische Liebesgeschichte mit Kitsch und Liebesschmerz, der wird schnell eines besseren belehrt. Schon auf den ersten Seite beschreibt die Hofdame Shikibu sehr melancholisch die Trauer und die Gefühle ihrer Charaktere. Die als relativ friedlich bekannte Heian-Zeit (Japan 794-1192) spiegelt das relativ offene Verhältnis am Hofe gut wieder. Der Kaiser wird nicht als machtgieriger Herrscher beschrieben der seine Untertanen schikaniert. Im Gegenteil. So stellt ihn die Autorin als eine eher zerbrechliche, ja sogar mitfühlende Person dar. Auf eine feine art beschreibt Murasaki Shikibu im Prolog die bezaubernde Szenerie und versetzt viele Abschnitte mit kleinen Gedichten, die alle einen tieferen Sinn haben:

<<Nimmer endend,
wie der Grillen Stimmen bis zur Erschöpfung klagen,
fließen in dieser Herbsnacht mir, ach, die Tränen herab.>>

<<Auf das Schilfgras,
das die Klage unzähliger Insekten erfüllt,
fällt noch, Botin des Himmels, der Tau eurer Tränen herab!>>

Genji Monogatari, 1. Kapitel - Kiritsubo



Lesen sich altertümliche Werke wie Homers Odyssee oder Vergils Aeneis schwer verständlich und auch ein wenig kratzig, so gleitet, um es mal zu vergleichen, die Geschichte vom Prinzen Genji förmlich über Wolken. Die Mischung aus Prosa und kleinen Gedichten machten Murasaki Shikibus Werk Seinerzeit einzigartig. Auch wenn die Behauptung bis Heute umstritten ist, so gilt „Die Geschichte vom Prinzen Genji“ bei vielen Experten als erster Roman der Weltliteratur.


Die Genji Monogatari genießt bis Heute in Japan noch ein hohes Ansehen. Ob Theaterstücke, Manga oder sogar eine groß angelegte Kinoproduktion. Aber auch in westlichen Gefilden wurde Murasaki Shikibus Roman schnell ein Klassiker. Zum einen könnte das daran liegen, dass man einen schnellen Zugang zu den Charakteren findet. Natürlich sind die vielen Namen und Begriffe erstmal eine Herausforderung. Aber dank der wunderschönen Übersetzung des leider mittlerweile verstorbenen Japanologen Oscar Benl (der übrigens, ebenfalls im Buch enthalten, ein höchst informatives Vorwort gehalten hat) verliert man nie den Faden. Fußnoten hat der Übersetzer ebenfalls gesetzt, benutzt sie aber nur bei wirklich sehr unbekannten Begriffen. Der Leser wird also nicht durch ständige Erklärungen aus der Geschichte geworfen und kann die mystische Welt des alten Japans ganz für sich erkunden. Selbstverständlich muss man besonders bei einem solch alten Werk bedenken, dass eine absolut originalgetreue Übersetzung wohl kaum möglich ist. Die komplizierte Handschrift zu entziffern war auch lange in Japan selbst ein Problem und das Werk wurde erst zugänglicher als die japanische Autorin und Frauenrechtlerin Akiko Yosano die Genji Monogatari in die Moderne japanische Sprache adaptiert hat.

Ist die Geschichte nicht schon umfangreich genug und lädt zu Interpretationen ein, so besteht seit Ewigkeiten bereits die Debatte, ob die Hofdame Shikibu die alleinige Autorin des Genji Monogatari ist. So gehen viele Meinungen umher, dass die Autorin selbst nur eine bereits begonnene Geschichte fortgeführt hat. Da das Leben von Murasaki Shikibu irgendwann nicht mehr dokumentiert wurde, oder jene Dokumente nicht mehr aufzufinden sind, gibt es keine sicheren Beweise das sie tatsächlich auch den kompletten Roman alleine verfasst hat. So ging besonders Akiko Yosano davon aus, dass die Kapitel 35-54 von Murasaki Shikibus Tochter Daini no Sanmi fortgeführt wurden. Ebenfalls ist es bis Heute ungeklärt ob das relativ offene Ende der Geschichte so beabsichtigt war, oder eine Fortsetzung geplant war die noch weit über den Tod des Protagonisten hinaus weitererzählt werden sollte. Obwohl es bestimmt spannend wäre, all diese Fragen zu klären, bin ich sehr froh darüber das diese Mysterien bisher noch nicht aufgeklärt wurden.


Informationen zur deutschen Ausgabe:

Wer mehr über die fantastische Ausgabe vom Manesse Verlag erfahren will, der klickt bitte hier: Am Meer ist es wärmer: Präsentation zu „Die Geschichte vom Prinzen Genji“

Die komplett ungekürzte deutsche Ausgabe von Manesse ist als  zweibändige Hardcover-Ausgabe im japanischen Leinen Design in einem stabilen Pappschuber erschienen. Das Design des Pappschubers basiert übrigens, falls es nicht sofort ins Auge fällt, auf eine der Original Schriftrollen aus dem Zwölften Jahrhundert.


Resümee

Ein wenig Zeit, und, noch viel wichtiger, eine gewisse Leidenschaft zur japanischen Kultur sollte man mitbringen, bevor man sich dieses große Werk der Weltliteratur vornimmt. Die tragische Geschichte vom Prinzen Genji überzeugt, trotz ihrer 1000 Jahre alten Vergangenheit, durch intensiv ausgebaute Charaktere, einer malerischen Fantasie und viel Liebe zum Detail. Zwei dieser Eigenschaften braucht man zwar auch um einen Kuchen zu backen, in diesem Falle gilt dieses Rezept aber ausschließlich für die Literatur, die Murasaki Shikibu, eine Dame vom Hofe, hier abgeliefert hat.
Mit einer wirklich flüssigen und mit interessanten Bemerkungen versehenen Übersetzung wird es dem Leser nicht schwer fallen, sich relativ schnell in diesen Klassiker hineinzuleben.

Uns steht ein langer Winter bevor. Und an diesen kalten Abenden kann man es sich zusammen mit dem Prinzen Genji auf dem Sofa gemütlich machen. Am besten mit warmen Sake dazu und man fühlt sich ein wenig wie in dieser magischen Ära der Heian-Zeit.


Der Aufziehvogel dankt dem Manesse Verlag, der ihm diese schöne Reise ermöglicht hat.

Sonntag, 23. November 2014

DuMont bringt Murakamis Erstwerke nach Deutschland



Momentan scheint sich alles wie warme Brötchen zu verkaufen, wo der Name "Haruki Murakami" als Autor drauf verewigt ist. Erst zum Anfang des Monats nahm Murakami persönlich den Welt Literaturpreis entgegen und hielt im Axel-Springer-Hochhaus in Berlin eine bewegende Dankrede. Bei magischer Atmosphäre resümierte er noch einmal ganz persönlich, wie er den Berliner Mauerfall seinerzeit miterlebt hat.

Der DuMont Verlag will den Namen Haruki Murakami auch weiterhin aktuell halten. So erschien bereits in diesem Monat eine Taschenbuch-Neuauflage zu Sputnik Sweetheart, die sich vom Design des Covers an neue Veröffentlichungen wie "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" oder "Von Männern, die keine Frauen haben" orientiert.

Vor einigen Stunden hat Friederike von Japanliteratur.net auf Facebook gepostet, dass der Kölner Verlag sich nun ganz still und heimlich Murakamis beiden Erstwerken, "Wenn der Wind singt / Pinball 1973" angenommen hat. Bereits vor einigen Wochen kündigte Murakamis US-Verlag Knopf an, dass eine neue Übersetzung der beinahe im Westen verloren geglaubten Romane in einer Neuübersetzung von Ted Goosen im kommendem Jahr erscheinen wird. Der DuMont Verlag zieht daraufhin mit und veröffentlicht, ebenfalls angelehnt an das Design der letzten Publikationen, im Mai 2015 (Termin gilt noch nicht als fest) beide Romane in einem Sammelband als Hardcover. Der Preis wird bei 19,99 Euro liegen und, auch wenn es dazu noch keine Informationen gibt, wird Ursula Gräfe vermutlich wieder die Übersetzung übernehmen.

"Wie der Wind singt" und "Pinball 1973" bilden zusammen mit "Wilde Schafsjagd" die Trilogie der Ratte. Murakami veröffentlichte diesen beiden Frühwerke zwischen 1979 und 1980. Der Autor verweigerte allerdings eine weltweite Lizenzierung, da er von seinem Debüt nicht sonderlich begeistert ist. Auf vielfachen Bitten der Fans konnte sich Murakami nun doch überreden lassen und einer Veröffentlichung in westlichen Gefilden steht nichts mehr im Wege.

Und, Herr Murakami, keine falsche Eitelkeit. Als ich "Wie der Wind singt" (aka "Hear the Wind Sing") in seiner alten englischen Übersetzung von Alfred Birnbaum im Jahr 2011 las, war ich sehr angetan. Rezension.

Wer also Haruki Murakamis Ich-Erzähler vermisst hat, 2015 wird es endlich ein Wiedersehen geben.

Dienstag, 4. November 2014

Einwurf: Japanische Literatur - Wiederholend, eintönig, deprimierend?

6 Autoren aus Japan, deren Werk in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde.
Oben von links nach rechts: Haruki Murakami, Banana Yoshimoto, Ryu Murakami
Unten von links nach rechts: Hiromi Kawakami, Kenzaburo Oe, Yoko Ogawa



Hinweis: In diesem Artikel möchte ich auch aufgrund des Verständnis und der sauberen Lesbarkeit nicht auf einzelne Werke der hier aufgelisteten Autoren eingehen. Eine Ausnahme bildet in diesem Falle der Roman "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" von Haruki Murakami.


Der, wie jedes Jahr, hochfavorisierte Haruki Murakami ging auch in diesem Jahr leer aus als der Nobelpreis für Literatur an Patrick Modiano vergeben wurde. Den DuMont Verlag dürfte es dennoch versöhnlich stimmen, dass Murakamis neuste und im Oktober veröffentlichte Sammlung an Kurzgeschichten „Von Männern, die keine Frauen haben“ es in die Top 10 der Spiegel-Bestseller geschafft hat.

Für viele Literaturkritiker und (ganz besonders) Murakamis Anhängern ist es klar. Das bedeutende Werk des japanischen Autors, der in seinem Land gefeiert wird wie ein Popstar, aber für die Öffentlichkeit wahrscheinlich noch schwerer anzutreffen ist als der Tenno, kann nur noch mit dem Nobelpreis für Literatur geadelt werden. Für viele eine Notwendigkeit, für den Autor selbst eine Auszeichnung, die er gar nicht so gerne hätte, denn scherzend meinte er, sie wäre ein Anzeichen dafür, dass man allmählich alt wird. Das "Alt werden", ein Motiv, welches man in Murakamis Büchern immer wieder findet. Denn das ist etwas, wovor auch seine Protagonisten ein wenig bammel haben.
Die Mehrheit scheint auf Murakamis Seite zu sein. Es werden aber Stimmen lauter, Stimmen, die es besonders in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht so vermehrt gegeben zu haben scheint, bevor dieser neue Murakami-Boom entstanden ist, ein Boom, der wiederum entstanden zu sein scheint als 1Q84 veröffentlicht wurde. Was nicht heißt, dass nun alle Werke des Autors an 1Q84 gemessen werden, aber es sind viele neue Leser hinzugekommen, auch Leser, die von dem eigenwilligen Schriftsteller vorher noch nichts gehört haben. Der Aufstieg des Internets und ganz besonders die Popularität von Social Media haben natürlich ihr übriges getan. Diese Stimmen werfen Haruki Murakami vor, einfallslos, deprimierend und sexistisch zu sein. Doch ist das wirklich so? Wird der Autor einfach falsch interpretiert oder steckt da doch etwas hinter? Auch wird immer wieder etwas davon geschrieben, Murakami gehen die Ideen aus oder das sich sein Stil allmählich abnutzt. Aber was sagen die Murakami-Kenner dazu?


Fünf mal Murakami. Fünf mal der gleiche Eintopf? (Foto: Aufziehvogel)


Von Männern, die keine Frauen respektieren
Haruki Murakamis erschreckend sexistischer neuer Kurzgeschichtenband  (Quelle: Überschrift zur Rezension von „Männer, die keine Frauen haben“ auf Fixpoetry. Verfasser: Kristoffer Cornils)

Ich bin zufällig auf die Rezension von Fixpoetry gestoßen die mit einer schnippisch markanten Überschrift beginnt. Heutzutage wird mit dem Wort "Sexismus" und "Frauenfeindlich" relativ leichtfertig umgegangen. Der Rezensent hat sich dennoch zu der sehr prägnanten Überschrift entschieden. Im beinahe den selben Atemzug kritisiert dieser auch noch die japanische Literatur an sich. Während ich die erwähnte Rezension, die sogar relativ eintönig lediglich auf den Sexismus Part eingeht, selbstverständlich nicht weiter besprechen möchte (wer diese lesen möchte, der Link dazu ist in dem zitierten Abschnitt anwählbar), hat mich diese aber dennoch zum nachdenken angeregt und sogar dazu ermutigt, diesen Einwurf zu verfassen. Handelt es sich bei der japanischen Literatur tatsächlich um Blender, die ausschließlich stets immer und immer wieder die gleichen Thematiken behandeln und eigentlich nur für eine spezielle Leserschaft geeignet sind?

So einfach darf man es sich gewiss nicht machen. Das Thema rund um die japanische Literatur ist komplex und umfangreich. Das Motive wie Einsamkeit, Isolation und Sehnsüchte bei Autoren wie Murakami, Yoshimoto und Kawakami immer wieder ein Thema sind ist kein Geheimnis. Die besagten Autoren gehen relativ leichtfertig, so scheint es zumindest, mit Themen wie "Sex und Gewalt" um. Es werden vielleicht Grenzen durchstoßen, die man bei westlicher Literatur nur selten oder anders, logischer beschrieben, wiederfindet. Hat man sich mit der japanischen Literatur nur wenig bis gar nicht zuvor auseinandergesetzt, kann man schnell die Keule schwingen und die jeweiligen Werke relativ schnell in eine bestimmte Schublade stecken. Man muss diesen Motiven aber genauer auf den Grund gehen. Das, was die japanische Literatur ausmacht, ganz besonders für westliche Leser, sind die geheimnisvollen Aspekte. Oftmals sind die Geschichten surreal oder gar ein wenig verwirrend, noch häufiger spielen Traumsequenzen eine wichtige Rolle. Meistens werden nicht alle Fragen geklärt und schon gar nicht werden Antworten sanft auf einem Silbertablett serviert. Es ist gut möglich das es Leser gibt, die davon entweder verwirrt oder gar absolut planlos sind, wenn sie resümieren, was sie da gerade gelesen haben. Ist diese Literatur denn wirklich so schwer zugänglich? Oder anders gefragt, deprimiert sie ihre Leser sogar?

Ich habe natürlich leicht reden, denn ich befasse mich beinahe mein ganzes Leben bereits mit dem Land und seiner Kultur und bin seit einigen Jahren auch geübt was die japanische Literatur angeht. Aber was die Allgemeinheit angeht, so muss ich auch mal einen Blick über die persönlichen Interessen werfen. Und da wird es schwierig. Besonders im deutschsprachigen Raum herrscht momentan eine regelrechte Flaute was neue Veröffentlichungen aus Japan angeht. Die Übersetzungen sind teuer und die Erträge vermutlich gering was für viele Verlage ein größeres Wagnis darstellt. Finanziert werden einige Romane sogar mit Deutsch-Japanischen Förderungen für Literatur.
Der Heyne Verlag hat es sich da einfacher gemacht und Koji Suzukis Roman „Der Graben“ (erschienen im Frühjahr 2014) lediglich aus der bereits adaptieren englischen Ausgabe übersetzt. Das dies keine fachgerechte und originalgetreue Übersetzung ist dürfte natürlich auch klar sein.

In der Welt der Krimis feierte jedoch Keigo Higashinos „Verächtige Geliebte“ und „Heilige Mörderin“ einige Erfolge und beide Werke fanden Anklang unter deutschen Lesern. Obwohl Higashino im Krimi-Genre zuhause ist, folgt aber auch er der japanischen Erzählkunst. So steht das Verbrechen eher im Hintergrund, dafür befasst sich der Autor jedoch intensiv mit seinen Charakteren und geht auf die psychologischen Aspekte ein. Ein Aspekt, der Gang und Gebe in der japanischen Literatur ist.

Aber wie steht es denn nun um die Motive der japanischen Literatur? Banana Yoshmito schreibt oft über selbstbewusste Frauen die sich auf ihrem Lebenswerk verloren haben, Haruki Murakami über einsame Junggesellen, mysteriöse Frauen und Jazzbars während Ryu Murakami (beide Autoren sind nicht miteinander verwandt) eine Mischung aus anspruchsvoller Literatur und Horror anbietet, der auch nicht davor zurückschreckt, einige pikante Szenen äußerst detailliert zu beschreiben. Und wie steht es um Hiromi Kawakami und ihre melancholischen Protagonistinnen oder Yoko Ogawas surreale Geschichten? Oder Nobelpreisträger Kenzaburo Oe's düstere Romane und Erzählungen, die beinahe schon einer Dystopie gleichkommen? Alles weltbekannte Autoren, die stets auf ähnliche Stilmittel und Motive setzen. Sind sie einfallslos, überfordert oder können westliche Leser sich einfach nicht in diese Geschichten hineinversetzen? Das ist eine Frage, die ich hier nicht klären kann. Zumindest nicht oberflächlich. Was die Romane auf keinen Fall, ganz sicher, nicht sind; einfallslos und schon gar nicht sexistisch. Hier mögen einige westliche Leser zu sehr an Klischees kratzen weil die besprochenen Werke häufig unser gewohntes Denken umkrempeln. Die moderne japanische Literatur hat dabei so viel mehr zu bieten, wenn man sich nur auf sie einlassen würde. Aber dies ist leichter gesagt als getan.

Um letztendlich wieder auf Haruki Murakami zurückzukommen. War dieser in den 90ern besonders in Deutschland noch ein absoluter Geheimtipp, so trifft man neuerdings häufig Leute in den Bussen und Bahnen an, die einen seiner Romane während der Fahrt lesen. Meistens sind es die neuen Werke wie „Kafka am Strand“„1Q84“ oder aber sein neuster Roman „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“. Und ich selbst war es, der Murakami im Jahr 2008 mit „Kafka am Strand“ für sich entdeckte. Und ja, auch mir sind die wiederkehrenden Motive nicht verborgen geblieben. Aber was ist so schlimm daran, frage ich mich? Es ist ja nicht so, dass der Autor stets die gleiche Geschichte neu aufwärmt. Murakami Stilmittel sind eher etwas vertrautes, etwas gewohntes, etwas, was man gerne wiedersieht. Trotz all dieser Vertrautheit ist mir nach „Kafka am Strand“ etwas aufgefallen, was anders ist. Erstmals ist es mir beim Nachfolger „After Dark“ aufgefallen und spätestens dann bei dem umfangreichen Dreiteiler „1Q84“. In Murakamis Erzählstil hat sich etwas verändert. Darunter auch Motive, die mir erstmals sogar weniger gefallen. Im neuen Interview, welches „Die Welt“ mit Murakami führte, beschreibt der Autor den Stil seiner neuen Veröffentlichungen folgendermaßen:

Meine neuen Storys unterscheiden sich ziemlich von meinen früheren surrealistischen. Ihr Stil ist sehr realistisch. Das ist aber nur äußerlich. Der Geist der Geschichten ist trotzdem übernatürlich oder surreal.
Vielleicht werde ich einfach älter. Als ich jünger war, wollte ich wild und zerstörerisch sein. Heute möchte ich kultivierte Geschichten schreiben und sozusagen auf solidem Grund ein surreales Bauwerk errichten. Wie beim "Eigenständigen Organ". Das ist eine realistisch erzählte Geschichte, vom Anfang bis zum Ende. Aber sie erscheint mir zugleich sehr seltsam.  (Quelle: Die Welt: Haruki Murakami - Was in meinem Kopf vorgeht, ist ungewöhnlich)

Diese befremdliche Gefühl, welches ich erstmals in 1Q84 verspürte, spürte ich erneut in „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“. Und das ausgerechnet bei einer Murakami-Frau. Die Murakami-Frau, damaliger Auslöser bei vielen jungen Lesern nach einer geheimnisvollen Frau zu suchen, die es vermutlich gar nicht gibt, spielt in seinem neusten Roman eine relativ unbedeutende Rolle. Trotz allem ist Sara, die Protagonist, die Tsukuru Tazaki zu eben jener Pilgerreise überredet, weder sympathisch noch charmant. Das ein geheimnisvoller Nebel sie umgibt, dem will ich nicht widersprechen. Allerdings ist es ihre art und ihr Verhalten, die sie sehr von anderen Murakami-Frauen unterscheidet. Im aktuellen Interview redet Murakami darüber, dass es praktisch Sara war, die als Wegweiser fungierte, die Geschichte um den farblosen Bahnhofs-Architekt zu verfassen. Sara jedoch, die sich durchaus eine Beziehung mit Tsukuru vorstellen kann, ist sehr erpicht darauf, dass sich Tsukuru seiner unangenehmen Vergangenheit stellt. Im ersten Moment ist dies keine schlechte Eigenschaft, eine zielstrebige Frau, die Forderungen stellt bevor sie sich auf eine Beziehung einlässt. Auf der anderen Seite setzt diese ihn aber erheblich unter Druck und betrügt ihn vermutlich auch noch mit einem älteren Mann. Sämtliche Versuche, etwas aus Saras Vergangenheit herauszukitzeln scheitern bei Tsukuru jedoch und er bleibt völlig im Dunkeln über die Aktivitäten seiner Freundin.

Während ich mir über Murakamis weibliche Protagonistin Gedanken mache, machen sich viele Kritiker und Leser jedoch über weitaus oberflächlichere Aspekte in der japanischen Literatur Gedanken. Hier kommen aber die Denkweisen zweier völlig verschiedener Kulturen, die der Deutschen und die der Japaner, zusammen. Für mich (sowie für die Kenner der japanischen Literatur als natürlich auch die Japaner an sich) ist der eher leichte Umgang in Sachen Gewalt und Sex in einigen Romanen ein Stilmittel was dazu dient, die Story und die Handlungen der Charaktere weiter voranzutreiben. Viele Leser der westlichen Literatur könnten aber genau dieses Stilmittel als provozierend oder gar als maßlos überzogen ansehen. Schnell hantiert man auf einmal mit Vokabeln wie "gewaltverherrlichend" oder "sexistisch" (besonders gut kann man dies bei Amazon Rezensionen beobachten). Befasst man sich aber nur etwas länger mit den jeweiligen Werken oder aber sieht von der vielleicht etwas oberflächlichen Meinung mal ab, gibt auch die japanische Literatur jedem Leser eine faire Chance, sich in die etwas eigenwillige Welt jener Kultur einzufinden.

Natürlich bin ich ein begeisterter Leser der japanischen Literatur. Meine Meinung gegenüber den Kritikern war all die Zeit recht voreingenommen und ich versuchte immer wieder, für diese Literatur zu argumentieren. Nach reichlicher Überlegung bin ich aber zu dem Entschluss gekommen, dass diese Kritiker mit ihren Argumenten nicht unbedingt unrecht haben (natürlich kommt es immer noch auf die Qualität der Begründungen an). Die Jazzbars, die Melancholie, die Sehnsüchte, die Einsamkeit und auch der Surrealismus, all das gehört zur japanischen Literatur. Zum einen wird Literatur immer mit dem Gewissen verfasst, dass sie in ihrem Heimatland Anklang findet. Somit steckt auch die Philosophie und Denkweise der japanischen Kultur in jeder Geschichte. Ob eher traditionell wie bei Kenzaburo Oe, oder aber mit westlichen Einflüssen wie bei Haruki Murakami. Jede dieser Geschichten ist durch und durch japanisch, und genau so soll es auch sein. Die japanische Literatur wird auch daher weiterhin eher eine Nische in Deutschlands Buchhandlungen füllen, aber mit vielen interessanten Veröffentlichungen kann die exotische Literatur Jahr für Jahr neue Leser gewinnen. Ob es einem gefällt oder nicht, ob wiederholend, eintönig oder deprimierend, japanische Autoren polarisieren und werden dies auch weiterhin tun. Denn bei der japanischen Literatur gibt es vermutlich nur zwei Optionen für den Leser. Entweder man liest sie leidenschaftlich, oder geht nach einem kurzen Gastspiel wieder traditionelle Wege.


Cheers, euer Aufziehvogel