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Donnerstag, 3. April 2014

Saša Stanišić: Vor dem Fest (Rezension)




(Foto: Drew Farrell  Website: drewfarrell.com)



Deutschland 2014

Vor dem Fest
Autor: Saša Stanišić
Erscheinungsjahr: 2014, Luchterhand Literaturverlag
Genre:



"Der Fährmann ist tot, und die anderen Toten wundern sich, was soll ein Fährmann unter der Erde? Er hätte ordentlich im See bleiben sollen und gut.
Niemand sagt, ich bin der neue Fährmann. Die wenigen, die verstehen, dass wir unbedingt einen neuen Fährmann brauchen, verstehen nichts von Fähren. Oder davon, wie man Gewässer tröstet. Oder sie sind zu alt. Andere tun so, als hätten wir niemals einen Fährmann gehabt. Die dritten sagen: Der Fährmann ist tot, es lebe der Bootsverleih.
Der Fährmann ist tot, und niemand weiß, warum.
Wir sind traurig. Wir haben keinen Fährmann mehr. Und die Seen sind wieder wild und dunkel und schauen sich um."
(Saša Stanišić, Vor Dem Fest, Luchterhand Literaturverlag)

Saša Stanišić macht die deutsche Sprache wieder attraktiv. Ich wollte eigentlich erst Sexy schreiben, aber dann würde ich mich praktisch selbst ins Aus katapultieren, weshalb ich Attraktiv für die wesentlich geschmeidigere Bezeichnung für diesen Roman halte.
Eigentlich schon geplant im März, musste ich diese durchaus wichtige Rezension leider auf Anfang April verschieben. Dies soll aber diesen grandiosen Roman nicht schmälern, wenn bei mir die Technik nicht mitspielt.

Der Gewinner des diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik galt von vornherein als Geheimfavorit. Das Saša Stanišić dennoch den Preis für sein exotisches wie außergewöhnliches Werk erhält, dürfte eine freudige Überraschung für viele Fans des noch jungen Autors gewesen sein. Mit seinem Erstling Wie der Soldat das Grammofon repariert erntete der talentierte Autor bosnischer Herkunft 2006 viel Anerkennung. Schaut man sich Interviews auf YouTube von Saša Stanišić an, so könnte man den Autor beinahe als schüchtern und zurückhaltend bezeichnen. Ein sehr sympathischer Mann, und wenn man genau hinhört, dann hört man noch den leichten Akzent aus der Heimat. Ein so komplexes Werk wie Vor dem Fest würde man ihm nicht unbedingt zutrauen. Vielleicht denken einige sogar, der Autor sei noch ein wenig Grün hinter den Ohren. Doch all diese Zweifel verpuffen in Rauch sobald man die ersten Zeilen dieser Geschichte liest:

"Wir sind Traurig. Wir haben keinen Fährmann mehr. Der Fährmann ist tot. Zwei Seen, kein Fährmann. Zu den Inseln gelangst du jetzt, wenn du ein Boot hast. Oder wenn du ein Boot bist. Oder du schwimmst. Aber schwimm man, wenn die Eisbrocken in den Wellen klacken wie ein Windspiel mit tausend Stäben."
(Saša Stanišić, Vor dem Fest, Luchterhand Literaturverlag)

Der Beginn dieser Geschichte dürfte verwirrend, seltsam und völlig zusammenhangslos erscheinen. Aber, es ist sofort diese Sprachgewalt, die einen in den Bann dieses Buches zieht. Allmählich, liest man sich durch die ersten Seiten, befreit Saša Stanišić uns aus diesem dichten Nebel und macht uns klar, worum es in dieser Geschichte ungefähr gehen wird, ohne dabei zu viel zu verraten. Er stellt uns die eigenwilligen Protagonisten vor, er bereitet uns auf ein kleines Abenteuer vor. Ein Abenteuer welches in der Uckermark spielt, in einem kleinen, beinahe unscheinbaren Dorf, umgeben von Wäldern und Seen, Fürstenfelde. Ich musste mich natürlich erst einmal informieren, da ich absolut keine Ahnung hatte wo Fürstenfelde überhaupt liegt. Nach meiner Recherche, und ich glaube ich liege richtig damit, gehört dieses idyllische Dörfchen bereits zu Polen und hört dort auf den Namen Boleszkowice (gehörte bis Kriegsende zu Brandenburg). In dieses kleine Dorf entführt uns der Autor, und man kommt sich vor, als würden die Ereignisse in einem ganz anderen Land spielen. In diesem Dorf werden wir auf ein bevorstehendes Fest vorbereitet, welches jedes Jahr, ganz traditionell zum Ende des Sommers, von den Anwohnern veranstaltet wird. In diesem Jahr scheint aber etwas anders zu sein, nicht nur ist der Fährmann des Dorfes verstorben, es geraten auch noch Ereignisse ins Rollen, mit denen keiner der Dorfbewohner je gerechnet hätte.


(Fürstenfelde)


Wer die Rezensionen auf diesem Blog verfolgt, dem wird vielleicht etwas auffallen. Zum einen fehlt das Genre in der Kurzbeschreibung, zum anderen hätte längst etwas zum Inhalt erwähnt werden müssen. An diesen Punkten bin ich jedoch gescheitert. Wieso? Nun, ein Genre will mir partout nicht einfallen, und eine Inhaltsangabe würde nicht nur sämtliche Überraschung nehmen, sondern wäre auch zu komplex und würde den Rahmen dieser Rezension sprengen. Ich möchte es diesmal dabei belassen und am Gesamteindruck wird das selbstverständlich nichts ändern. Aber das sollte nur einmal deutlich machen, wie tiefgründig Vor dem Fest doch ist. Dabei nimmt sich Autor Saša Stanišić niemals zu wichtig. Im Gegenteil. Trotz der vielen unterschiedlichen Schreibstile (von Altdeutsch bis hin zum Modernen Slang der heutigen Jugend) ist die Sprache immer verständlich. Selten hatte ein deutscher Roman in vergangener Zeit so eine Aussagekraft wie Vor dem Fest. Und das ist etwas, was mich wirklich beeindruckt hat. Man muss im komplizierten Umgang mit der deutschen Sprache recht sicher sein, um so etwas zu kreieren. Ein fremdsprachiger Übersetzer hätte hier wahrlich eine Mammutaufgabe vor sich, die Sprache und die Wortspiele halbwegs anständig zu übersetzen.

Und da wäre ich bei den Wortspielen angekommen. Zwar steckt die Geschichte, die in Vor dem Fest erzählt wird, in einem ernsten Kern, der herrlich trockene Humor kommt aber nicht einmal zu kurz. Die markanten Charaktere hauen einen Brüller nach dem anderen raus. Tränen gelacht habe ich bei der Rückblende des ehemaligen Oberstleutnant Schramm, die sich in einer Sauna abspielt. Die Situationskomik mit dem usbekischen General Trunov ist genial dargestellt, so genial, dass ich die Szene bildlich vor Augen hatte. Hier ein kleiner Auszug aus dieser recht umfangreichen Rückblende:

"In der Sauna hatte er neben Trunov gesessen. Drehte er den Kopf, konnte er Trunovs Schulter riechen. General Trunovs Schulter roch nach der der erfolgreichen Verteidigung eines Brückenkopfs gegen einen dreimal stärkeren Gegner. Schramm roch Steppengras und Pferdeflanken, roch Afghanistan, roch Tänze mit usbekischen Dorfschönheiten."
(Saša Stanišić, Vor dem Fest, Luchterhand Literaturverlag)

Aber egal ob Oberstleutnant Schramm, Burkhard Imboden oder Lada. Sie alle sind echte Unikate, sie alle haben ihre Klischees so wie wir Deutschen halt unsere Klischees haben. Das macht die absurden Aktionen in dieser Geschichte erst einmal so authentisch. Ohne diesen herrlichen Humor würde Vor dem Fest auch gar nicht so brillant funktionieren. Die eigentliche Stärke in dem Humor liegt aber darin, dass in all den kleinen Geschichten immer auch ein ernster Untertont versteckt ist.


Resümee 

Zwischen Lokalpatriotismus, Heimatverbundenheit, Sky Bundesliga, Sexy Sport Clips und dem feiern von Festen, irgendwo zwischen diesen Kategorien kann man Saša Stanišić "Vor dem Fest" ansiedeln.
Der Autor schlüpft hier gleich in mehrere Rollen. Zeitzeuge, Dramatiker, Humorist oder auch Märchenerzähler. All das porträtiert Saša Stanišić in seinem zweiten Roman. Das ist eine beachtliche Leistung, und auch wenn ich die Werke seiner Mitkonkurrenten der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik nicht gelesen habe, so kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass es in diesem Jahr ein außergewöhnlicheres Werk als "Vor dem Fest" gab. Ich gönne Saša Stanišić diesen Erfolg und hoffe, dass er uns noch weiter mit so einer Sprachgewalt begeistern wird. Ich habe den Auslug nach Fürstenfelde in keiner Sekunde bereut. Eine ganz große Empfehlung.


Mein Dank geht an den Luchterhand Literaturverlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.

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