Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Donnerstag, 16. Januar 2014

Inside Of: Sputnik Sweetheart (Haruki Murakami)




Was haben wir denn da? Eine weitere neue Rubrik? Ja!
In Inside Of  möchte ich gerne Bücher oder Filme besprechen, die mich besonders bewegt oder mir all meine Konzentration abverlangt haben (oder beides). Ich möchte ein wenig auf die Protagonisten, die Thematik und die Atmosphäre eingehen. Ein wenig möchte ich aber auch interpretieren. Gewiss eignen sich dazu weder Shades of Grey noch Transformers. Haruki Murakamis Sputnik Sweetheart dafür aber umso mehr.

Nicht nur spielt Sputnik Sweetheart bei meinen Murakami-Favoriten ganz oben mit (wenn nicht sogar mein alleiniger Favorit), es passt auch einfach gut, jetzt, wo Haruki Murakamis neuster Roman, Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki, seit dem 10. Januar in Deutschland erhältlich ist und der 65. Geburtstag des Autors gerade vorüber ist.

Hinweis: Ich werde auf etliche Passagen im Buch eingehen, die einiges von der Geschichte vorwegnehmen dürften, sowohl auf das Ende eingehen. Wer also vor hat, Sputnik Sweetheart noch zu lesen, der sollte diesen Artikel nun vermeiden.

Vor bereits 3 Jahren habe ich eine Rezension zu Sputnik Sweetheart hier auf Am Meer ist es wärmer veröffentlicht. Die Geschichte hatte einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen und wollte mich auch lange nach dem auslesen nicht loslassen. Es ist eine Geschichte, bei der so viele Fragen offen bleiben. Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, was man zuerst besprechen soll. Genau wie bei Südlich der Grenze, westlich der Sonne, spielt Sputnik Sweetheart zwar in der Gegenwart, die Grenzen zwischen Realität und Traum verschwimmen jedoch, je tiefer man in die Geschichte eindringt. In vermutlich keinem anderen seiner Werke verknüpft Murakami seine surreale Welt so gekonnt mit den Charakteren wie bei Sputnik Sweetheart. Zwar mag der Titel albern oder nach einer Liebesgeschichte klingen, schnell wird einem beim lesen jedoch die Bedeutung des Titels bewusst. Als der Roman 1999 in Japan erschien, hat Murakami den Roman größtenteils (wenn nicht sogar komplett meines Wissens) in Europa verfasst. Ich glaube das ist auch der entscheidende Punkt, wieso die Geschichte auch atmosphärisch so gut funktioniert.

Gegen Ende des Buches gibt es eine Passage, ein Telefonat zwischen Erzähler K. und Sumire, die mich unglaublich bewegt hat, und mich natürlich auch rätseln ließ. Hier ein Auszug dieser Passage:

(.....)Eines Nachts aber läutete es doch. Es klingelte wirklich - direkt vor meiner Nase - und ließ die Luft der realen Welt erzittern. Ich nahm sofort ab.

>>Hallo?<<
>>Ich bin wieder da<<, sagte Sumire. Ganz gelassen. Ganz real. >>Ich hab ganz schön was mitgemacht, aber ich bin trotzdem wieder da.<<
Es war wie eine Zusammenfassung der Odyssee in fünfzig Wörtern.
>>Das ist gut<<, wiederholte ich. Ich konnte es nicht fassen., ihre Stimme zu hören. Dass sie es wirklich war.(.....)

(.....)>> Wo bist du jetzt?<<
>>Wo werde ich schon sein? Was denkst denn du?Im guten, alten Telefonhäuschen natürlich. In einem viereckigen, schäbigen Häuschen, das vollgeklebt ist mit Werbung für Kredithaie und Telefonsex. Am Himmel steht der verschimmelte Halbmond , und der Boden ist voller Zigarettenkippen. Nichts in Sicht, das einem das Herz wärmt. Ein austauschbares, total symbolisches Telefonhäuschen . Ich weiß nicht genau, wo es steht. Alles ist so symbolisch. Du weißt doch, mein Orientierungssinn ist katastrophal. Ich kann's nicht erklären. Deshalb schnauzen mich die Taxifahrer auch immer an: >Wo wollen sie denn nun überhaupt hin?< Jedenfalls ist es nicht weit, glaube ich, vielleicht sogar ziemlich nah.<<(.....) 
(Sputnik Sweetheart, DuMont Buchverlag, in einer Übersetzung von Ursula Gräfe)

Das letzte Gespräch zwischen K. und Sumire wirft natürlich viele Fragen auf. Optimisten würden dieses Ende als ein Happy End gelten lassen. Aber dieser letzten Szene, diesem, meiner Meinung nach, völlig imaginärem Telefonat, haftet so viel Surrealismus an, dass man wohl kaum davon sprechen kann, dass sich dieses Ereignis tatsächlich abgespielt hat. Irgendwie waren K. und Sumire miteinander verbunden. Realistisch betrachtet ist es aber viel mehr das Unterbewusstsein von K., welches sich so sehnlichst wünscht, Sumire zu sprechen. K's Odyssee durch Griechenland, all die Erlebnisse und die vergebliche Suche nach Sumire hinterließen ein großes Loch in K's Seele. Das spurlose verschwinden von Sumire, welches einfach nicht zu erklären ist, ließ ihn am eigenen Verstand zweifeln. Irgendwann, als er wieder daheim war, sein Leben wieder halbwegs normalen Aktivitäten nachging, meldete sich schließlich sein in Ungnade gefallener Verstand. Und dieser hat sich irgendwie ein ganz persönliches Happy End für K zusammengedichtet. Sollte dieser Anruf aus der Realität stammen, wieso kann Sumire nicht ein einziges mal sagen, wo sie sich eigentlich befindet? Ein Mensch sollte doch, egal wie orientierungslos er ist, in der Lage sein, zumindest herauszufinden, wo er sich so ungefähr gerade befindet. Es gibt hier eigentlich kaum logische Erklärungen. Man kann sich alles irgendwie zurechtstutzen, aber diese Szene, dieser Epilog, ist entweder eine Traumszene oder aber K's Verstand, der ihm einen Streich spielt.

Ähnlich wie Satres "Der Ekel" kann man Sputnik Sweetheart eine Geschichte des Existentialismus nennen (es gibt sogar zahlreiche Verbindungen zu Satres Werk). Ganz deutlich wird dies bei Sumires Traum:

"Als Sumire sich zum gehen wendet, ist die Treppe verschwunden, und sie ist von vier Mauern eingeschlossen. An der Stelle der Treppe befindet sich jetzt eine Holztür. Sumire dreht den Türknauf und öffnet sie. Auf der anderen Seite ist nichts als Himmel. Sie steht auf der Spitze eines Turms, der so hoch ist, dass ihr schwindlig wird, wenn sie hinunter schaut. Am Himmel fliegen ungezählte, kleine Flugzeugähnliche Objekte, simple Einsitzer, wie sie sich jeder mit ein bisschen Bambus und ein paar Holzleisten bauen kann. Hinter dem Sitz haben sie einen faustgroßen Motor und hinten ein Propeller.
Sumire ruft den vorbeifliegenden Piloten mit lauter Stimme zu, sie mögen ihr doch helfen. Aber die Piloten schauen nicht einmal in ihre Richtung."

Wahrscheinlich kann mich wegen meiner Kleidung keiner sehen, denkt Sumire. Sie trägt eines dieser unförmigen, langen, weißen Nachthemden, wie man sie im Krankenhaus bekommt. Sie zieht es aus. Darunter ist sie nackt. Sie legt das Nachthemd an der Tür ab, wo es vom Wind erfasst und wie eine heimatlose Seele davonsegelt. Der gleiche Wind liebkost ihren Körper und zerzaust ihr Schamhaar. Unversehens haben sich die kleinen Flugmaschinen in Libellen verwandelt, und die Luft ist voll von den bunt schillernden, großen Insekten. Ihre riesigen rollenden Augäpfel glänzen hell. Das sirren ihrer Flügel wird immer lauter - als würde man die Lautstärke eines Radios aufdrehen - bis es zu einem ohrenbetäubenden Dröhnen angeschwollen ist. Sumire kauert sich auf den Boden, schließt die Augen und hält sie die Ohren zu.

Und wacht auf."
(Sputnik Sweetheart, DuMont Buchverlag, in einer Übersetzung von Ursula Gräfe)

Sumires Traum ist eine der essentiellsten Momente des Romans. Es beschreibt ihren zerbrechlichen, unentschlossenen Charakter. Ihre Ängste. Sumire, die unbedingt wahrgenommen werden will, fragt sich nach dem Sinn ihrer Existenz, ihres Daseins. Die Szene im Traum soll noch einmal verdeutlichen, dass sie für die Gesellschaft anscheinend unsichtbar, kaum existent ist. Die Frage nach der eigenen Existenz ist ein wichtiges Thema des Romans. Murakami geht ungewöhnliche Wege in Sputnik Sweetheart und wandelt gar ein wenig auf den Pfaden eines Satre oder Camus, die allesamt Pioniere der französischen Existenzphilosophie waren. Aber so unbekannt ist Murakami in dieser Welt auch nicht, wie etliche andere Werke von ihm geht es auch in Sputnik Sweetheart um Einsamkeit und Selbstfindung.

Ich möchte einfach mal genauer auf die 3 Protagonisten des Romans eingehen.
Das Gespann, den namenlosen Ich-Erzähler bereits mit einbezogen, bildet den Kern der Geschichte. Nur wenn man sich ganz genau mit ihren Hintergründen befasst, kann man sich halbwegs die surrealen Ereignisse am Ende erklären.

- K. (Protagonist)
Vermutlich als Hommage an Franz Kafka gedacht, der seine Protagonisten meistens nur K. nannte.
Am meisten dürfte K. (25 Jahre alt) viele neuere Murakami-Leser an Tengo aus 1Q84 erinnern. Allerdings agiert K. in vielen Dingen völlig anders. K. ist unentschlossen, hat immer noch nicht seinen Platz in der Gesellschaft gefunden. Er ist Lehrer an einer Grundschule, hat sich mit einer verheirateten Mutter einer seiner Schüler eingelassen und ist hoffnungslos in Sumire verliebt. K. kann sich nicht ganz erklären, was er an diesem eigensinnigen Mädchen eigentlich findet. Aber wo die Liebe nun einmal hinfällt, kann auch K. nichts gegen seine Gefühle tun. Als Miu K. kontaktiert, Sumire sei spurlos verschwunden, macht er sich sofort auf den Weg. Was K. noch nicht weiß bei seiner Abreise: Diesen seltsamen Trip wird er vermutlich nie wieder vergessen. Es ist weniger die Suche nach einer vermissten Person. Viel mehr findet er sich selbst, Miu, und einige seltsame Dokumente von Sumire.

- Sumire
Die 22 jährige Studentin Sumire ist ein eigenwilliges Mädchen. Sie ist fasziniert von Jack Kerouac und findet, die Beatnik-Generation seien die wahren Pioniere der Modernen westlichen Literatur. Ihr Kleidungsstil ist schlicht, ihr Lebensstil etwas chaotisch. Irgendwie freundeten sie und K. sich an, obwohl ihr Vorstellungen doch so verschieden sind. Die eigentlich unbeschwerte Sumire ist in ihrem Innern jedoch das komplette Gegenteil. Sie ist ängstlich, noch wesentlich unentschlossener als K. und hat absolut keine Ahnung, wie ihr Leben irgendwann einmal aussehen soll. Zumindest bis sie Miu kennen lernt. Sumire verliebt sich in die 17 Jahre ältere Miu, die ihr eine völlig neue, aufregende Welt zeigt. Natürlich ist die verwirrte Sumire sich auch ihrer Sexualität nicht wirklich bewusst. Das berufliche sowie freundschaftliche Verhältnis zu Miu wird gefährlich für Sumire, da sie die Ereignisse, die sich in Gang gesetzt haben, nicht mehr kontrollieren kann.

-  Miu
Die koreanisch stämmige Miu ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau und lernt Sumire auf einer Hochzeit kennen. Die beiden ungleichen Frauen kommen ins Gespräch, und Miu bietet Sumire an, so lange sie sich ihrer Zukunft nicht bwusst ist, für sie zu arbeiten. Und das Angebot ist vielversprechend. Miu ist international unterwegs und die Bezahlung ist gut. Sumire passt sich mehr und mehr dem Lebensstil von Miu an. Die Beziehung beginnt aber auf einer einsamen griechischen Insel an zu knistern als beide Frauen sich näher kommen. Die äußerlich toughe Miu verbirgt jedoch viele Geheimnisse in sich die erst zum Vorschein kommen, als sie sich Sumire (die in ihren mysteriösen Dokumenten über Mius Vergangenheit berichtet) und K. anvertraut. Miu gibt sich die Schuld an Sumires Verschwinden.






K. selbst ist übrigens bei dieser Reise stellvertretend für den Leser unterwegs. Durch K. nehmen wir, auch wenn er seine eigene Hintergrundgeschichte hat, an diesen seltsamen Ereignissen teil.  Es ist der Leser, der einen kleinen Kurzurlaub auf einer griechischen Insel macht, der über die geheime Vergangenheit von Miu erfährt, sich in Sumire verliebt und ihre Aufzeichnungen findet. Die Aufzeichnungen eines sehr unentschlossenen Mädchens, die sich, grundsätzlich immer bei ihren eigenen Schriften selbst bestätigen muss.

Richtig?
Aber absolut!

Das schöne an Sputnik Sweetheart ist, es gibt keine plausiblen Erklärungen für die Geschehnisse im Buch. Jede Interpretation ist legitim da Murakami, wie so oft, nur wenig Antworten liefert. Sputnik Sweetheart jedoch ist aber alleine aufgrund seiner Schauplätze ein Roman, den man nicht so schnell vergessen wird. Problemlos kann man ihn ein zweites oder gar ein drittes mal lesen.

Wer sich in die Bibliographie von Murakami erst einmal noch einarbeiten muss, der sollte sich vielleicht Sputnik Sweetheart nicht sofort vornehmen. Ist man mit dem Autor aber vertraut, und hat den Roman bisher aufgrund des etwas albernen Namens gemieden, der sollte seine Meinung noch einmal überdenken. Denn bereuen wird er diesen Kurzurlaub nicht.

Übrigens, gewisse Ähnlichkeiten zu 1Q84 sind nicht nur in Protagonist K. zu finden. Ich will das erste "Inside Of" mit einem letzten Zitat aus dem Buch abschließen, welches vielleicht manchen 1Q84 Lesern bekannt vorkommen dürfte. Bis dahin, gehabt euch wohl.

"Ich verlasse das Bett. Ziehe den alten, verblichenen Vorhang zurück und öffne das Fenster. Als ich den Kopf aus dem Fenster strecke und in den Nachthimmel schaue, sehe ich ihn, den schimmligen Halbmond. So weit, so gut. Wir sind in derselben Welt und sehen denselben Mond. Wir sind durch eine Linie mit der Wirklichkeit verbunden. Ich brauche sie nur noch einzuholen, zu mir heranzuziehen."
(Sputnik Sweetheart, DuMont Buchverlag, in einer Übersetzung von Ursula Gräfe)

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